Ausgabe 7Lagerfeuergeschichten

DAS UNGEHEUER VON LOCH NESS

Zwischen endlosen Moorlandschaften und nebligen Tälern knistert ein Lagerfeuer. Schwarze Qualmwolken säumen das Seeufer und verbergen das dunkle Geheimnis, das sich unter der Wasseroberfläche in 325 Metern Tiefe verbirgt.

Du bist nicht allein in dieser Nacht. Sie harrt auf dem Seegrund aus und wartet auf deinen Besuch. Etwas an dir gefällt ihr. Du trägst keine Kamera bei dir und bist vollkommen unbewaffnet. Sie wird sich dir zeigen, wenn du bereit bist, ihren Preis zu zahlen. Denn wenn sie die Zeit eines gelehrt hat, dann dass Zeugen nicht am Leben bleiben dürfen.

Diesen Fehler hatte sie erstmals 565 begangen, als der irische Geistliche Abdomnan von Iona eine Reise gen Norden zum König der Pikten (der Völker Schottlands) unternahm. Gerade, als er Loch Ness passierte, ereignete sich der tragische Vorfall. Sie – ein Wasserungeheuer gigantischen Ausmaßes – griff einen Mann an, der sich zu nah an den schottischen Süßwassersee gewagt hatte. Der Überfall wäre unbemerkt geblieben, hätte der geistliche Augenzeuge nicht um Gottes Hilfe gebeten, um den Unschuldigen aus ihren Fängen zu befreien. Das war das erste und letzte Mal, dass eine höhere Instanz ihr das Handwerk legte. Von nun an war sie auf der Hut. Doch auch ein Wassermonster musste hin und wieder an die Oberfläche kommen, um Luft zu holen.

Und so kam es, dass weitere Menschen sie entdeckten. Ein junges Paar sah, wie der Bogen ihres gekrümmten Halses aus dem See ragte und ein Wanderer verwechselte ihren Rumpf mit einer schwimmenden Insel. In einem besonders unachtsamen Augenblick beobachtete ein Motorradfahrer, wie sie ein Schaf vom Seeufer stibitzte. Doch niemand glaubte den Berichten von Monstersichtungen und so führte sie ein ruhiges Leben, bis zu jenem verhängnisvollen Morgen im Mai 1933.

Gerade als sie mit Kopf und Hals den Wasserspiegel durchstieß, stand er da – ein Journalist der Zeitung Inverness Courier, der prompt einen Artikel über das „riesige, im Loch tauchende Tier“ schrieb. Damit begann der Trubel. Tagtäglich belagerten Schaulustige ihren See und rodeten sogar die Bäume, die sie seit Jahrhunderten vor den neugierigen Blicken abgeschirmt hatten. Ein Jahr später, im April 1934, kam es schließlich, wie es kommen musste – das erste Foto wurde von ihrem unnatürlich langen Hals und dem verhältnismäßig kleinen Schädel geschossen. Das Bild sorgte für Aufruhr, Spekulationen und bescherte ihr den ersten Namen: „Das Ungeheuer von Loch Ness“.

Im Jahr 1972 drangen die Menschen vollends in ihr Territorium ein. Ausgestattet mit wasserfesten Kameras schossen die Monsterjäger:innen Fotos in tiefster See. Und obwohl das Ungeheuer bis zum Grund hinab getaucht war, gelang es ihnen eine verwackelte Aufnahme von diesem zu ergattern. Eine der rhombenförmigen Flossen war darauf zu sehen, der das Ungeheuer von Loch Ness den zweiten, deutlich wissenschaftlicheren Namen zu verdanken hatte: Nessiteras rhombopteryx.

Ein neues Jahrhundert begann und die Faszination für das Monster von Loch Ness war noch immer nicht abgeklungen. 2007 entstand das erste Video, auf dem ein etwa zehn Kilometer pro Stunde schnelles und 15 Meter langes, aalähnliches Objekt im schottischen See zu sehen ist. Nun waren die Menschen sich einig: Das Ungeheuer von Loch Ness existiert wahrhaftig. Doch ein wahres Ungeheuer war dieses schon lange nicht mehr. Mit den Jahren hatten die Menschen die Furcht vor ihr verloren. Und mit diesem Verschwinden tauchte ein neuer Name für sie auf: Nessie.

Was verbirgt sich hinter diesem harmlosen Namen? In den Augenzeugenberichten wird stets ein Wesen beschrieben, das große Ähnlichkeiten zum Erscheinungsbild des ausgestorbenen Plesiosaurus aufweist. Auch er besaß einen langen Hals mit kleinem Schädel sowie vier Flossen zur Fortbewegung. Ist Nessie also ein Überbleibsel des Mesozoikums? Unwahrscheinlich, denn auch ein Plesiosaurus segnen nach einigen Jahren das Zeitliche und für eine ganze Dinosaurier-Familie bietet Loch Ness zu wenig Fischvorkommen.

Ist der Mythos vom Ungeheuer von Loch Ness also nur ein Märchen? Dafür würden die Bekenntnisse mehrerer Fotografen sprechen, in denen diese gestanden, die berühmten Fotos Nessies gefälscht zu haben. Doch wie lassen sich all die unabhängig voneinander getätigten Monster-Sichtungen und die Videoaufnahme von 2007 erklären? 2019 stellten sich Wissenschaftler:innen genau diese Frage und nahmen eine umfangreiche DNA-Analyse im schottischen See vor. Die Forscher:innen untersuchten dabei mehr als 500 Sequenzen Erbgut und kamen zu dem Ergebnis, dass das Ungeheuer von Loch Ness ein Aal beträchtlicher Größe bzw. eine ganze Kolonie riesiger Aale sein muss.Am Ende ist auch dies nur eine Theorie. Was wirklich hinter der Legende vom Monster von Loch Ness steckt, kannst du nur herausfinden, indem du dich selbst in die kalten Fluten des schottischen Sees stürzt. Und wenn du Nessie bei deinem Tauchgang tatsächlich entdeckst und die Begegnung überlebst, scheu dich nicht davor, deine Sichtung mit uns zu teilen. Nessie wird durch deine Entdeckung nicht zum Versuchsobjekt oder zur Freizeitattraktion in Aquarien, vor diesem Schicksal schützt sie das 1933 ins Leben gerufene Gesetz des Vereinigten Königreiches, welches das Monster unter Naturschutz stellt.

Julia ist die Ambivalenz auf zwei Beinen. Sie lebt einerseits mit Dinosauriern und Shakespeare in der Vergangenheit, ihr (seit drei Jahren) fast vollendeter Debüt-Roman spielt jedoch in der Zukunft. Sie wollte eigentlich etwas "Sicheres" studieren und ist jetzt blöderweise im Journalismus gelandet. Dort ist sie ganz nebenbei Mate-abhängig geworden und mit ihrer Tastatur verwachsen.

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