Ausgabe 6Fantastische Fabelwesen

DER CHERUFE

Gasblasen oder menschenfressende Lava-Kreatur?

Sobald der Druck auf Magmen (silikatische Gesteinsschmelzen) einer Magmakammer steigt, werden diese an die Oberfläche befördert, wodurch sich Gasblasen aus dem geschmolzenen Gestein bilden. Diese Gasblasen schäumen das Magma auf, drücken es an die Oberfläche und verursachen so den Ausbruch eines Vulkans. Während diese knapp zusammengefasste, wissenschaftliche Erklärung für Eruptionen geläufig ist, kennt kaum jemand den deutlich älteren und somit um einiges mystischeren Erklärungsversuch für Vulkanausbrüche. Im Grenzbereich Chiles und Argentiniens haben die Menschen die Legenden über die treibenden Kräfte der verheerenden Lavaströme und Aschewolke noch nicht vergessen – die Geschichten über die Cherufen.

Der Cherufe ist ein Fabelwesen, das der Mapuche-Mythologie entspringt. Die Mapuche, ein indigenes Volk Südamerikas, versuchten einen Grund für Anomalien bei geologischen Ereignissen wie Vulkanausbrüchen zu ermitteln und fanden diesen schließlich in dem riesenhaften, humanoiden Reptilienwesen, welches wir heute genauer unter die Lupe nehmen wollen.

Der Legende nach bewohnt der Cherufe die Magmatümpel tief im Inneren der chilenischen Vulkane. Seiner Umgebung angepasst besteht sein Körper ebenfalls aus Magma und leuchtend roten Lavaflüssen. Er ist die Quelle von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Meteoriten – ein unerschütterlicher Unheilbringer, der aus diesem Grund nicht selten als Dämon betitelt wird.

Bändigen lässt sich ein Cherufe nur durch ein Menschen-Opfer, das in den Vulkan hineingestoßen wird. Das Reptilienwesen verzehrt die erbrachte Opfergabe und verschmäht beim Dinieren lediglich den Kopf. Diesen entzündet es nach Beendigung seines Mahls und schleudert ihn anschließend aus dem Schlund seines Vulkans. Eine besondere Cherufen-Delikatesse stellen, ähnlich wie beim europäischen Drachen, jungfräuliche Menschen dar, doch auch die gewöhnlichen Menschen-Opfer besänftigen das Fabelwesen bis zum nächsten Magenknurren.

Kryptozoolog:innen, die sich mit Tieren beschäftigen, für deren Existenz es nur wenige oder zweifelhafte bis gar keine Beweise gibt, gehen davon aus, dass die Legende über den Cherufe auf Sichtungen eines tatsächlichen, bisher nicht dokumentierten Wesens beruht. Dieses soll nicht nur in Becken aus geschmolzenem Gestein überleben, sondern auch in der enormen Hitze heranwachsen. Verwandt soll diese Spezies mit jenen Tieren sein, die in der Hitze der mineralreichen Abgase hydrothermaler Schlote am Meeresboden gedeihen wie beispielsweise der Riftia pachyptila, der Riesenbartwurm der Tiefsee.

Ob Cherufe wahrhaftig existieren, wird die Zeit zeigen. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass je ein Wesen gefunden wird, das eine Mischung aus Echse, Magma und Riese darstellt, ist ähnlich hoch wie die Entdeckung Nessies oder der Fund eines Drachenskelettes. Doch solange nichts Gegenteiliges bewiesen wurde, dürfen die Kryptozoolog:innen unter euch noch hoffen.

Julia ist die Ambivalenz auf zwei Beinen. Sie lebt einerseits mit Dinosauriern und Shakespeare in der Vergangenheit, ihr (seit drei Jahren) fast vollendeter Debüt-Roman spielt jedoch in der Zukunft. Sie wollte eigentlich etwas "Sicheres" studieren und ist jetzt blöderweise im Journalismus gelandet. Dort ist sie ganz nebenbei Mate-abhängig geworden und mit ihrer Tastatur verwachsen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert