Alte und Neue GötterAusgabe 5

DER HERR DES LICHTS

Eine dualistische Religion zwischen Fantasy und Antike

„Die Nacht ist dunkel und voller Schrecken.“

Ritueller Spruch aus Das Lied von Eis und Feuer/Game of Thrones

Wohl nur wenige andere Sätze aus der Erfolgsserie Game of Thrones und George Martins Buchreihe Das Lied von Eis und Feuer sind so berühmt-berüchtigt wie jener Vers (abgesehen vielleicht von „Der Winter naht“, „Valar Morghulis“ und „Hodor“). Vor allem die ambivalente Melisandre wird mit dem gebetsmühlenartigen Zitieren dieser Worte verbunden. Dabei ist dies keineswegs ihr persönlicher Slogan, sondern steht sinnbildlich für eine ganze Religion.

Das Lied von Gut und Böse

R’hllor, der Rote Gott, das Herz des Feuers, der Herr des Lichts – die oberste Gottheit dieses religiösen Kultes hat viele Namen. Die roten Priester*innen, wie etwa Melisandre oder Toros von Myr, verbreiten die Botschaft ihres Glaubens in allen Winkeln der bekannten Welt. Auf dem Kontinent Essos ist die Religion sehr populär und die Roten Tempel prägen das Bild vieler Städte, zum Beispiel in Pentos, Braavos und Volantis. Auch im dunklen, geheimnisvollen Asshai im fernen Osten von Essos wird R’hllor angebetet.

Das Element des Roten Gottes ist das Feuer, seine Priester*innen nutzen es für Gebete und als Waffe, lesen in den Flammen die Zukunft und rituelle Verbrennungen haben einen hohen Stellenwert. Diese reichen von einfachen Freudenfeuern über materielle Opfergaben bis hin zur Tötung von Ungläubigen auf dem Scheiterhaufen. Gegenüber abweichenden Glaubensrichtungen sind jene, die R’hllor verehren, äußerst intolerant. Andere Götter betrachten sie als Dämonen und falsche Götzen. Sie sehen es als ihre Aufgabe an, diese zu stürzen und deren Gefolge zu bekehren oder zu vernichten, denn R’hllor ist der einzige und wahrhaftige Gott, der Erlösung bringen kann. In Westeros ist der Kult kaum präsent und auf viele Menschen dieser Lande wirkt die Religion mit ihrer fanatischen Verehrung des Feuers okkult, arkan und mystisch, oft sogar bedrohlich aufgrund ihrer radikalen Ansichten und Praktiken.

Dabei stellt R’hllor im Weltbild seiner Anhänger*innen nur eine Seite der Medaille dar – und zwar die positive. Die Glaubensrichtung zeichnet sich durch eine ewige Feindschaft zweier Götter aus, einem religiösen Dualismus. Auf der einen Seite stehen hoffnungsvolles Licht, heller Tag, wärmendes Feuer, süße Liebe, das Leben – kurzum: das Gute; verkörpert durch R’hllor. Auf der anderen Seite stehen schreckliche Dunkelheit, finstere Nacht, kaltes Eis, bitterer Hass, der Tod – kurzum: das Böse; verkörpert von dem Großen Anderen, dessen wahrer Name nicht ausgesprochen werden darf. Ein jeder Mensch hat die Wahl, auf welcher Seite er steht. Der Herr des Lichts und der Herr der Finsternis führen seit jeher einen erbitterten Kampf und zerreißen die Welt in zwei fundamentale Teile. Erst die Ankunft von Azor Ahai, einem auserwählten Krieger, der mit dem Schwert Lichtbringer die Dunkelheit bekämpfen wird, soll die Erlösung bringen.

Also sprach Zarathustra

Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse ist ein Element, welches in zahlreichen Religionen unserer Welt verankert ist. Vor allem in den drei monotheistischen Religionen des Christentums, Judentums und Islams stehen sich beispielsweise Gott und Satan, Engel und Dämonen, Himmel und Hölle gegenüber. Eine der ältesten, noch existierenden Glaubensrichtungen unserer Erde prägte jedoch den Aspekt des religiösen Dualismus wie keine andere und nahm mit ihren Vorstellungen nicht nur Einfluss auf die Traditionen der genannten Weltreligionen, sondern diente George Martin auch als Inspirationsquelle für den Kult von R’hllor.

Im ersten oder zweiten vorchristlichen Jahrtausend verbreitete der Priester und Philosoph Zarathustra ältere iranische Traditionen, aus denen sich später die Religion des Zoroastrismus entwickeln sollte. Seinen Ursprung hat dieser Glaube wahrscheinlich in der antiken Region Baktrien im heutigen Nord-Afghanistan. Von dort breitete er sich über das iranische Hochland in ganz Persien aus. In seiner Blütezeit, den 1200 Jahren zwischen 600 vor und 600 nach Christus, spielte der Zoroastrismus in Kleinasien, Mesopotamien, Zentralasien und seinem Kernland Persien eine wichtige Rolle, vor allem auch im sozialen, kulturellen und politischen Bereich. Mit vermutlich mehreren Millionen Anhänger*innen kann er als frühe Weltreligion angesehen werden. Erst durch die islamische Expansion in diese Gebiete zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert n. Chr. verlor die Glaubensrichtung an Bedeutung. Infolgedessen wurden Menschen zoroastrischen Glaubens unterdrückt und viele flohen in das heutige Indien. Gegenwärtig wird die Zahl der Anhänger*innen auf weniger als 500.000 geschätzt.

Die antiken Zoroastrier verehrten das Feuer als reinstes aller Elemente. Deshalb wurden sie in anderen Teilen der altertümlichen Welt, so etwa in Griechenland, als Feueranbeter mystifiziert. Seit jeher dienen Feuertempel als heilige Stätten der Gläubigen, in denen durch sakrale Rituale der Mensch dem Göttlichen begegnen kann.

Feuertempel in Yazd (Iran)

Das dogmatische Fundament des Zoroastrismus bildet der Dualismus zwischen Gut und Böse. Dieser Kampf tobt seit Ewigkeiten und teilt die Erde, die als Schlachtfeld dient, in zwei Sphären. Auf der einen Seite steht Ahura Mazda, der Herr des Lichts. Der Schöpfergott symbolisiert neben dem heiligen Feuer auch Weisheit und Erlösung, während sein Gegenspieler Ahriman Finsternis, Zerstörung und Tod verkörpert. Beide gehören unzertrennbar zur Kosmologie des Zoroastrismus.

„Und im Anbeginn waren diese beiden Geister, die Zwillinge, die nach ihrem eigenen Worte das Gute und das Böse im Denken, Reden und Tun heißen.“

Kapitel 30, Vers 3 aus der heiligen Schrift des Zoroastrismus (Avesta)

Unterstützt werden die beiden Mächte durch Scharen von Erzengeln, Heiligen und Dämonen. Am Ende dieses Krieges steht die Ankunft von Saoschjant, einer messianischen Figur, die das Böse endgültig besiegen und die Welt erneuern wird.

Der Mensch als Werk des Guten spielt eine zentrale Rolle im zoroastrischen Weltbild, denn durch seine Gedanken und Taten manifestiert sich das Gute oder Böse in der Welt. Grundsätzlich kann sich jeder Mensch frei entscheiden, auf welcher Seite er steht, doch muss er nach seinem Tod die Konsequenzen für sein Handeln tragen. Seine Seele gelangt dann entweder in das Paradies oder in die Hölle.

Ein weltbewegender Glaube

Heutzutage ist der Zoroastrismus eine nahezu vergessene Religion. Durch George Martins Werk fanden die antiken persischen Traditionen der Feuerverehrung und das in der modernen Religionslandschaft kaum präsente Prinzip des religiösen Dualismus den Weg in die Bücherregale und auf die heimischen Fernseher. Der Kult von R’hllor ist stark von der altiranischen Religion beeinflusst und kann quasi als Hommage an eine der einflussreichsten Glaubensrichtungen der Antike angesehen werden.

Faravahar, ein zentrales Symbol des Zoroastrismus

Dass der Zoroastrismus keinesfalls in die verstaubte Ecke untergegangener Mythologien gehört, zeigen auch die Parallelen zu den großen monotheistischen Weltreligionen des Christentums, Judentums und Islams: der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, eine Messias-Figur, Himmel und Hölle, Engel und Dämonen. Viele wissenschaftliche Theorien befassen sich mit dieser Verknüpfung. Vor allem auch aufgrund der räumlichen und zeitlichen Nähe ist anzunehmen, dass der Zoroastrismus die Glaubensvorstellungen der benachbarten hebräischen und arabischen Völker schon vor der Entstehung des Judentums als älteste abrahamitische Religion wesentlich beeinflusst haben könnte und somit eventuell Wegbereiter für zentrale Dogmen der größten Religionen dieser Welt war.

Christopher stammt von den Hängen des Erzgebirges, suchte jedoch beizeiten das Abenteuer in der großen Stadt. Seit Kindertagen interessiert er sich für die Länder, Kulturen und Sprachen dieser und anderer Welten. Heraus kamen ein Ethnologie-Studium in Leipzig, die Begeisterung für Tolkiens Werke und ein Plüsch-Chewbacca auf der Couch.

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