AQUILERIA - Sagen & Legenden

DER KRISTALL DES BERGGEISTES

AQUILERIA ist eine mittelalterliche, fantastische Welt voller Geheimnisse und Abenteuer. Eine Welt mit eigenen Landschaften, Königreichen, Kulturen, Religionen und Zeitrechnungen. Eine Welt, in der es ganz besondere Orte, Pflanzen, Tiere und Phänomene gibt, ebenso wie ganz besondere Heldinnen und Helden, die sich nie als solche verstehen und bezeichnen würden. Eine Welt, in der sich die Menschen Geschichten, Märchen, Sagen und Legenden erzählen, die von Dingen berichten, die unvorstellbar, lehrreich, magisch, gruselig oder einfach nur unterhaltsam sind. Eine Auswahl dieser Erzählungen, zusammengefasst unter „AQUILERIA · Sagen & Legenden“, veröffentlichen wir exklusiv hier im Wirsing-Magazin. Sie ergänzen die bisherigen Bücher aus der Feder von Alexander Büttner um eine neue, mythische Komponente.

Eine Geschichte über die Gefahren, die im Anvaligebirge lauern, und über das, was sie einst auslöste.

„Es war ein Anvaliwanderer. Diese Bären waren kleiner als die meisten anderen Bärenarten, dafür jedoch flinker, wendiger und deutlich aggressiver. Sie hatten ein weißgeschecktes Fell, das zur Tarnung im Schnee diente, und sie lebten und jagten vorrangig in den schneebedeckten Gipfeln des Anvali. Daher hatten sie auch ihren Namen. Es passierte selten, dass man sie im Flachland antraf; am ehesten noch im Winter, wenn sie die Suche nach Futter aus den Höhenlagen trieb, denn Winterschlaf hielten sie keinen.“

aus Luanas Entscheidung

Man erzählt sich, dass es im Anvali einen Berggeist gab. Sein größter Schatz war ein Kristall auf der Spitze eines Berges, den man schon aus weiter Entfernung sehen konnte. In manch dunkler Nacht entfachte der Geist die Magie in seinem Kristall und ließ ihn ein wunderbares Licht verstrahlen, auf dass die Menschen Hoffnung und Trost fanden.

Im Sommer wurde der Kristall von seinen Bären bewacht; großen, gefährlichen Tieren mit dunklem Fell, mächtigen Tatzen und scharfen Zähnen. Im Winter, wenn die Bären in tiefen, dunklen Höhlen schliefen, überließ der Geist die Wacht seinen kalten Winterstürmen.

Doch eines Tages fand sich eine kleine Gruppe Verwegener, die diesen Kristall rauben und so zu Reichtum kommen wollten. Im Herbst, als die ersten Bären sich in ihre Höhlen verkrochen, machten sie sich auf den Weg. Sie zogen langsam voran, damit der Geist ihrer nicht gewahr wurde, und hatten Vorräte für einen ganzen Winter dabei. Sie trotzten den Stürmen und schafften es schließlich bis zur Spitze des Berges, wo sie den mächtigen Kristall an sich nahmen und auf einen Schlitten luden, den sie mitgebracht hatten.

Mit ihrer Beute machten sie sich an den Abstieg, doch der Berggeist bemerkte den Diebstahl schnell und heulte auf. Er jagte die Diebe mit peitschendem Wind und einem Schauer aus Eiskristallen, so scharf wie Pfeilspitzen. Manch einen traf ein solcher Kristall wie ein Dolch ins Herz, ein anderer wurde vom Wind erfasst und in eine tiefe Gletscherspalte geschleudert. Doch blieben die übrigen Diebe davon unbeeindruckt und setzten ihre Flucht ins Tal fort. Der Geist schrie und fauchte und wütete, sodass sich alsbald eine Lawine löste, und diese erfasste auch einige unglückliche Diebe – doch die anderen konnten sich und ihre Beute in Sicherheit bringen und weiter ins Tal ziehen, wo bereits der Frühling auf sie wartete.

In seiner Verzweiflung schickte der Berggeist nun seine Gehilfen aus; Seelen aus Eis, die die Bären in ihren Höhlen suchten, in die Tiere hineinfuhren, von ihnen Besitz ergriffen und sie aus ihrem Winterschlaf rissen. Die eisigen Seelen ließen schneeweiße Flecken im Fell der Bären wachsen, und während die Kälte ihre Gestalt ein wenig schrumpfen ließ, so entfachte die Wut das zornige und unerbittliche Wesen der Tiere.

„Ihr Bären, rettet mir meinen Kristall“, rief sie der Berggeist an. „Steht auf und sucht die Menschen, die mir mein Leuchten gestohlen haben! Findet sie und bringt mir meinen Schatz zurück.“

Die Diebe ahnten nichts von der Gefahr, die ihnen drohte, und freuten sich alsbald über den Anblick grüner Wiesen und bunter Frühlingsblumen, die sich vor ihnen ausbreiteten. Doch so sie sich der Wärme näherten, begann ihr Schatz immer kleiner zu werden. Es dauerte nicht lange, da begannen sie darüber zu streiten. Erst warfen sie einander vor, Teile des Kristalls vor den anderen verborgen zu haben, und ein unglücklicher Hieb ließ einen der Diebe tot zu Boden sinken. Dann stritten sie darüber, wer das wenige des noch verbliebenen Schatzes für sich beanspruchen sollte. Einer wollte den Schatz, denn der Raub sei seine Idee gewesen. Ein anderer meinte, sein Beitrag wären die Vorräte gewesen, der nächste hatte den Schlitten beigesteuert, mit dem sie den Kristall ins Tal gebracht hatten. Und so fand ein jeder einen Grund, warum der Schatz und der Reichtum ihm gebühre und nicht den anderen. Als sie dann merkten, dass der Kristall immer kleiner wurde und bald kaum mehr größer war als der Kopf eines Kindes, schlossen sie Frieden und vereinbarten, erst den Kristall zu verkaufen und dann über den Erlös zu entscheiden.

Doch das Misstrauen blieb und so ließen sie einander nicht mehr aus den Augen. So sahen sie auch nicht die Bären des Berggeistes, die ihrer Spur und dem Lärm ihres Zanken gefolgt waren. Und als die Diebe sie dann doch entdeckten, war es bereits zu spät.

Die Bären ließen keinen von ihnen am Leben und brachten den kleinen Kristall zurück zum Berggeist, dessen Gram über den Verlust doch schwerer wog als die Freude darüber, dass er wenigstens den übrig gebliebenen Rest wieder bei sich hatte. Und so sprach der Berggeist in seinem Zorn einen Fluch aus: Die Bären würden fortan nicht mehr ruhen, auch nicht im Winter, sondern durch die Berge und die Täler ziehen und jeden jagen, der den Anvali zu überqueren und den Kristall zu suchen gedachte. Und mit jedem Opfer, das seine Bären fanden, sollte der Kristall wieder wachsen. Das Licht, das die Herzen der Menschen stets mit Hoffnung gefüllt hatte, wollte er ihnen indessen verwehren, bis sein Schmerz gelindert und seine Schmach ausgemerzt sein würden. Stattdessen sollte das Licht nun immer dann erstrahlen, wenn seine wandernden Wächter auf ihrer Jagd erfolgreich gewesen waren – als Warnung, dass niemand sein Reich betreten und ungestraft durchwandern dürfe.

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Alexander ist Schriftsteller, freier Redakteur, Projektmanager und Verlagsleiter. Aus seiner Feder stammt unter anderem die AQUILERIA-Reihe. Zudem betreibt er zusammen mit Caroline Loße den Buchblog Beardy Books, auf dem er vor allem über Abenteuergeschichten berichtet, die irgendwo zwischen Antike und dem Indiana Jones-Zeitalter der Dreißiger Jahre angesiedelt sind - oder die er im Kinderzimmer seines Sohnes findet. Daneben engagiert er sich für Nachhaltigkeit und den Erhalt von Wildnis- und Urwaldflächen (unter anderem im Rahmen von Wilderness International) und hat ein großes Herz für Crossmedia Storytelling.

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