Ausgabe 3Fantastische Fabelwesen

DER TROLL

Monster, Naturgeist, Kinderbuchheld

Behäbig, grobschlächtig und hässlich; wild, aggressiv und brutal. Mit diesen Zuschreibungen werden häufig Trolle charakterisiert. Doch die Fabelwesen der nordischen Mythologie können mehr sein als monströse Kampfbestien. Dies zeigt nicht nur der Blick in die mythische Vergangenheit, sondern auch eine beliebte skandinavische Kinderbuchreihe aus dem mittleren 20. Jahrhundert.

Trolle gehören neben furchteinflößenden Riesen und erzschürfenden Zwergen zu den prägendsten Fabelwesen der nordischen Mythologie. Doch in den letzten Jahrzehnten wurden die sagenumwobenen Geschöpfe vermehrt aus dem mythologischen Kontext in die Belletristik und Popkultur transferiert. Selbst in der Internetkultur hat sich der Begriff des Trollens für absichtlich provokante, plakative und nicht zum Thema passende Kommentare in Foren und auf Social-Media-Plattformen etabliert. Doch diese unruhestiftenden Netztrolle haben nichts mit den humanoiden Wesen aus dem hohen Norden zu tun – wobei auch die eigentlichen Trolle nicht gerade als sanft und rücksichtsvoll gelten.

In Skandinavien daheim und doch nicht von dieser Welt

illustator : JNL, FAL, via Wikimedia Commons

In der nordischen Mythologie werden die behäbigen Sagengestalten meist als unberechenbar, nicht besonders hübsch und dem Menschen gegenüber feindselig beschrieben. Auch wenn ihr Erscheinungsbild variiert (sie können zwergenhaft, aber auch riesengroß sein), wird ihnen stets Wildheit und ein tendenziell hässliches Äußeres nachgesagt. Trolle leben fernab von menschlichen Siedlungen in schwer zugänglichen Gebirgsregionen, dunklen Höhlen und tiefen Wäldern. Zur Umwelt besitzen sie eine besonders starke Verbindung, mitunter gelten die kräftigen Wesen als Verkörperung der Naturgewalten oder Manifestierung von Berg-, Wald- und Wassergeistern. Nicht zuletzt wegen dieser diffusen Charakterisierungen hat sich der Begriff Troll in der skandinavischen Folklore, parallel zur Beschreibung dieser spezifischen Geschöpfe, als Synonym für sämtliche Fabelwesen etabliert, analog zu den fairies in der anglo-keltischen Sagenwelt.

Da die Assoziierung von Trollen mit geheimnisvollen Naturgeistern nahezu erloschen ist, gelten sie meist als jene grobschlächtigen und barbarischen Kreaturen, die isoliert in der nordischen Wildnis hausen sollen. Heute zeugen topographische Bezeichnungen in ganz Skandinavien von den vermeintlichen Heimstätten der Trolle. In Norwegen wurde unter anderem eine Bergregion (Trollheimen) und ein Gebirgspass (Trollstigen) nach den Ungetümen getauft, in Schweden trägt ein Megalithgrab den Namen Trollasten und der Gipfel Skessuhorn auf Island ist abgeleitet von der altisländischen Bezeichnung für eine Trollfrau (Skessa). Doch schenkt man der nordischen Mythologie Glauben, so haben Trolle ihren Ursprung außerhalb unserer Welt. Der Planet Erde wird im altnordischen Kosmos als Midgard, die Heimat der Menschen, bezeichnet, Trolle sollen jedoch ebenso wie die Riesen aus der Außenwelt Utgard stammen.

Zwischen Menschenfresser, Bauhelfer und Kinderbuchhelden

Trolle galten schon immer als gefährliche Wesen, denen man lieber nicht allein im Wald begegnen sollte. Seit jeher genießen sie keinen guten Ruf, jedoch verschärfte sich die schlechte Reputation mit der Etablierung des Christentums in Skandinavien enorm. Zur Anfangszeit der Christianisierung wurden einige nordische Folkloreelemente durchaus noch mit den neuen Glaubensvorstellungen vermischt, so sollen beispielsweise Trolle bei der Errichtung der Kathedrale von Trondheim mitgeholfen haben. Doch die kirchliche Doktrin dämonisierte und verdrängte die Fabelwesen schrittweise, spätestens nach der Reformation im 16. Jahrhundert. In den Erzählungen wurden sie zu regelrechten Menschenfeinden, die Dörfer überfielen, Kinder stahlen und hilflose Bürger verschlangen. Lediglich im Volksglauben hielt sich mitunter die ursprüngliche Erinnerung an die naturgewaltigen Sagengestalten.

Eine wesentliche Rolle für die zeitgenössische Charakterisierung von Trollen spielen jedoch auch die Belletristik und Popkultur. Vor allem im Fantasybereich haben die Kreaturen Einzug in viele Werke gehalten. Und meist werden sie dort als eben jene brutalen und wilden Wesen dargestellt, zu denen sie auch in der nordischen Mythologie geworden sind.

Die Illustrationen des schwedischen Künstlers John Bauer (1882-1918) gelten auch heute noch als Inspirationsquelle für das Aussehen der meisten Trolle in Märchen oder Fantasywerken.

In J. R. R. Tolkiens Mittelerde existieren viele verschiedene Trollarten, die allesamt als groß, dümmlich und barbarisch beschrieben werden. Am bekanntesten sind die in der Wildnis lebenden Stein-, Berg-, Hügel- und Höhlentrolle, die auch Bilbo auf seiner Reise zum Erebor (Der Hobbit) sowie den Ringgefährten in den Minen von Moria (Der Herr der Ringe) in die Quere kommen. Ferner sollen in den kälteren Regionen Mittelerdes auch weiße Schneetrolle hausen.

Der dunkle Herrscher Sauron züchtete außerdem, neben Orks und Uruks, gezielt Trolle für den Krieg. Diese unter dem Namen Olog-hai bekannte Spezies gilt als überaus stark, besonders bösartig und übertrifft andere Artgenossen in puncto Brutalität und Mordlust. Bewaffnet mit großen Rundschilden und martialischen Kriegshämmern waren die Kampftrolle vor allem in der Schlacht am Schwarzen Tor im dritten Band von Der Herr der Ringe präsent. Dort kämpften sie sich brüllend durch die Reihen der Armee der freien Völker, wie „Schmiede, die auf glühendes Eisen schlagen“.

Auch wenn die diversen Trollarten Mittelerdes Unterschiede aufweisen – so können nicht alle von ihnen sprechen und nur manche werden durch Sonnenlicht versteinert – eint die Charakterisierung als riesenhaftes, unintelligentes und kampflüsternes Wesen alle Trolle in Tolkiens Welt und offenbart auch die Verbindung zur nordischen Mythologie.

Tove Jansson mit Muminfiguren
(Reino Loppinen, Public domain, via Wikimedia Commons)

In einem anderen prominenten Werk wird jedoch ein komplett gegensätzliches Bild kreiert, welches eher auf die starke Naturverbindung der Trolle abzielt, anstatt auf ihre barbarische Wildheit. Die finnlandschwedische Autorin und Künstlerin Tove Jansson erweckte zwischen 1945 und 1980 in zahlreichen Kinderbüchern, Comics und Illustrationen die Mumins zum Leben. Die ungefähr 50 Zentimeter großen Trollwesen werden als nilpferdartig beschrieben und fallen durch ihr niedliches Äußeres auf. Man könnte meinen, das Wort drollig sei für die Mumins überhaupt erst erfunden wurden.

Die kleinen Wesen leben in einem idyllischen Tal in Finnland, ihr Fell ist kurz und ihr Schwanz buschig. Sie gelten ferner als exzellente Schwimmer. Die kindgerechten Abenteuergeschichten Janssons drehen sich zwar hauptsächlich um die Mumins, in jener Welt leben jedoch auch andere fantastische Fabelwesen, wie etwa die spitzschnäuzigen Filifjonka oder die spargelähnlichen Hatifnatten.

Das vielfach adaptierte und weltweit populäre Werk von Tove Jansson hat die 2001 verstorbene Finnlandschwedin nicht nur zu einer der beliebtesten nordeuropäischen Schriftstellerinnen gemacht, sondern auch ein alternatives Bild von den mythischen Trollen geschaffen. Vielleicht auch aufgrund dieser positiven Konnotation durch die Mumins sind Trolle heutzutage wieder fester Bestandteil der skandinavischen Tradition und vor allem als Puppen, Holzfiguren und Souvenirs beliebt. Aufgrund der facettenreichen Beschreibungen zählen Trolle wohl zu den ambivalentesten Fabelwesen und in gewisser Weise darf jeder selbst entscheiden, ob er dabei an einsam lebende Naturgeister, brutale Kriegsbestien oder drollige Mini-Nilpferde denkt.

Christopher stammt von den Hängen des Erzgebirges, suchte jedoch beizeiten das Abenteuer in der großen Stadt. Seit Kindertagen interessiert er sich für die Länder, Kulturen und Sprachen dieser und anderer Welten. Heraus kamen ein Ethnologie-Studium in Leipzig, die Begeisterung für Tolkiens Werke und ein Plüsch-Chewbacca auf der Couch.

Quelle
Tolkien, J. R. R. (1954/1955): Der Herr der RingeTolkien, J. R. R. (1937): Der HobbitJansson, Tove (1945-1980): diverse Werke über die MuminsSimek, Rudolf (2018): Trolle. Ihre Geschichte von der nordischen Mythologie bis zum InternetWikimedia Tove JanssonWikimedia Troll

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