Ausgabe 1Flag Fact

DIE ECKIGSTE STAATSFLAGGE DER WELT

Wirft man einen Blick auf die knapp 200 Staatsflaggen unserer Erde, kommen einem etliche unterschiedliche Motive und Kolorierungen unter die Augen: Himmelskörper in sämtlichen Farben und Formen; Waffen und Werkzeuge von der Steinzeit bis in die Gegenwart;  Pflanzen und Tiere, die einen ganzen Zoo (und mitunter auch ein Buch über Fabelwesen) füllen könnten; hier und da ein Gebäude oder ein Mensch; allerlei kreative Wappen und sämtliche Farbtöne von kohlrabenschwarz bis schneeweiß. Aber eines haben (fast) alle aktuellen Staatsflaggen gemeinsam: vier Ecken.

Doch dann kommt plötzlich die Flagge Nepals – das gallische Dorf unter den Fahnen. Schon auf den ersten Blick ragt sie aus dem monotonen Meer der Rechtecke wie ein Eisberg hervor. Oder wie zwei Eisberge, die umgekippt sind. Die geometrische Form der Flagge zu erklären, kommt einer Sachaufgabe im Mathematikunterricht gleich und die Konstruktion überfordert wohl sogar den ein oder anderen Hochschulstudenten. Um sie detailgetreu durchzuführen, reicht jedoch ein Blick in die nepalesische Verfassung. Dort wurde im Jahr 1990 eine haargenaue Beschreibung eingefügt, wie die Flagge unter Zuhilfenahme von Lineal und Zirkel zu zeichnen ist.

Entstanden ist die seltsame Form durch das Zusammenlegen zweier Wimpel vor mehr als 200 Jahren. Nicht-rechteckige Flaggen waren zu früheren Zeiten keine Seltenheit. Besonders im südasiatischen Kulturareal stellten dreieckige Staatsbanner die Norm dar. Nach und nach adaptierten die dortigen Nationen jedoch die heute geläufige Form nach europäischem Vorbild. Lediglich Nepal behielt die traditionelle Variante bei. Die aktuelle Version ist nach einigen Veränderungen seit 1962 die offizielle Flagge des Landes.

Was die Bedeutung der einzelnen Elemente angeht, so gibt es wohl mindestens so viele Erklärungsansätze wie schneebedeckte Gipfel im Himalaya. Die Farben sind noch relativ leicht zuzuordnen: Karminrot ist die Nationalfarbe Nepals (abgeleitet vom Rhododendron, der Landesblume) und soll den Mut der hiesigen Bevölkerung symbolisieren. Blau steht für den Frieden. Die beiden weißen Symbole stellen den Mond und die Sonne dar (und hatten bis zur letzten Anpassung übrigens noch recht gruselig anmutende Gesichter). Ein Deutungsansatz besagt, dass so wie diese beiden Himmelskörper auch die Nation Nepal die Zeitalter überdauern möge. Der Mond soll außerdem die Kälte des Hochgebirges, die Sonne die Hitze des südlichen Tieflandes verdeutlichen. Laut einer politisch-geschichtlichen Interpretation symbolisiert der Mond das Königshaus und die Sonne die über einhundert Jahre lang herrschende Rana-Dynastie. Die beiden rechts herausragenden Spitzen stehen einerseits für den Himalaya, andererseits für die beiden in Nepal vorherrschenden Religionen: Hinduismus und Buddhismus.

Neben diesen etablierten Deutungsmöglichkeiten für die Bestandteile der Flagge existieren noch weitere, vor allem historische Interpretationen, welche jedoch in der Summe zu verwirrend anmuten würden, um sie alle zu benennen. Es bleibt ohnehin die geometrische Grundform, welche die nepalesische Flagge so skurril macht: Fünf Ecken, fünf Seiten, nur ein rechter Winkel und eine eigene Konstruktionsanleitung in der Verfassung, die gut und gerne eine Abituraufgabe in Mathe sein könnte.

Christopher stammt von den Hängen des Erzgebirges, suchte jedoch beizeiten das Abenteuer in der großen Stadt. Seit Kindertagen interessiert er sich für die Länder, Kulturen und Sprachen dieser und anderer Welten. Heraus kamen ein Ethnologie-Studium in Leipzig, die Begeisterung für Tolkiens Werke und ein Plüsch-Chewbacca auf der Couch.

Quelle
FlagmakersBritannicaFlags of the WorldSource NepalNepal Law Commission

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