Das Marvel Cinematic Universe hat schon viele Charaktertypen auf die Leinwand gezaubert: Superheld*innen, Gottheiten, Magier*innen, Aliens, Monster. Die neuste Riege an unschlagbaren Figuren sind die Eternals, welche sich im November letzten Jahres durch die Kinos kämpften. Und mit dieser Truppe erweckt das erfolgreichste Filmfranchise der Geschichte legendäre Charaktere aus der Mythologie und Sagenwelt unseres Planeten zum Leben.
Die Eternals sind eine Gruppe mächtiger und (im Normalfall) unsterblicher Superheld*innen, die von den uralten, gottgleichen Celestials erschaffen wurden. Ihre Aufgabe besteht darin, die intelligente Population bedrohter Planeten vor den Deviants – außerirdischen Superprädatoren – zu beschützen, indem sie diese Raubtiere vernichten. In den Marvel-Comics existieren zahlreiche Eternals; im gleichnamigen Blockbuster beschränkt sich die Anzahl bekannter Mitglieder dieser Spezies zunächst auf zehn.
Dieses knappe Dutzend wacht seit Jahrtausenden über die Erde und zeichnet sich durch spektakuläre Fähigkeiten sowie die unübersehbare Verbindung zu antiken Mythologien aus. Im Laufe der Zeitalter griffen die Eternals immer wieder – mal mehr, mal weniger – in die Geschicke der Menschheit ein: sie kämpften in Schlachten, brachten Fortschritt und Wohlstand oder verwendeten ihre magisch anmutenden Superkräfte für anderweitige Zwecke. Aus diesen scheinbar unerklärlichen Taten entwickelten sich weltbekannte Legenden, Sagen und Märchen unterschiedlichster Kulturen und Epochen.
Die griechische Fraktion
Anführerin der Eternals ist Ajak. Sie ist eine weise und mutige Kämpferin, deren Superkräfte vor allem im Bereich der Heilung und Regeneration liegen. Nur ihr ist es möglich, mit Arishem zu kommunizieren; jenem Celestial, der den Auftrag zur Beschützung der Menschheit gab. Für die Kinoleinwand wurde Ajak in eine weibliche Superheldin verwandelt, weshalb auf den ersten Blick ihr mythologisches Pendant kurios erscheint: Ajax der Große, einer der herausragendsten griechischen Helden im Trojanischen Krieg (auch bekannt als Aias der Telamonier). Der hellenische Soldat war vor allem wegen seiner hünenhaften Erscheinung und furchteinflößenden Kampftechnik bekannt. Allerdings wirkte die oberste der Eternals auch im präkolumbianischen Amerika. Dort hielt sie bei den Azteken als Quetzalcoatl und bei den Inka als Tecumotzin Einzug ins Reich der Legenden.
Die Stellvertreterin Ajaks ist Sersi. Sie ist bekannt für ihre Fähigkeit, Materie beliebig umzuwandeln und umzuformen; außerdem hat sie ein gewisses Händchen dafür, Männern den Kopf zu verdrehen. In der griechischen Mythologie kennt man sie unter dem Name Kirke/Zirze, einer mächtigen und heimtückischen Magierin mit einer Vorliebe für das Verführen und Verzaubern (beziehungsweise Bezirzen) von Kriegern, wie etwa Odysseus‘ Kompanie auf ihrer Irrfahrt am eigenen Leibe erfahren musste.
Ikaris ist ein weiterer Eternal mit einem Bezug zur Sagenwelt der antiken Hellenen. Bei ihm ist die namentliche Verbindung unübersehbar. Der Superheld inspirierte die Geschichte von Ikarus, jenem Mann, der zu fliegen versuchte, indem er sich ein Gestell aus Holz und Federn baute. Als es ihm tatsächlich gelang, durch die Lüfte zu gleiten, wurde Ikarus übermütig und flog zu nah an die Sonne, woraufhin das Wachs, welches das Gestell zusammenhielt, schmolz und der Mann ins Meer stürzte. Fliegen und feurige Strahlen – das sind auch die markantesten Superkräfte des Eternals Ikaris. Er ist imstande, vernichtende rote Laser aus seinen Augen zu schießen, während er durch die Lüfte gleitet.
Die nächste im Bunde ist Thena. Sie gilt als unaufhaltsame Kriegerin, die mit sämtlichen Waffen umgehen kann. Durch diese atemberaubenden Fähigkeiten verewigte sie sich als Athene in der griechischen Mythologie. Im Pantheon der Hellenen ist diese olympische Göttin unter anderem für Kampf, Weisheit und Kunst verantwortlich. Außerdem fungiert sie als Namensgeberin und Beschützerin der Hauptstadt Griechenlands.
Phastos ist der letzte von griechischen Sagen inspirierte Eternal. Wie sein Pendant Hephaistos – der Gott des Feuers und der Schmiedekunst – ist dieser Superheld äußerst geschickt im technologischen und handwerklichen Bereich. Er ist in der Lage, nahezu jegliche Art von Maschine oder Waffe zu entwerfen und auch Hologramme seiner innovativen Ideen zu präsentieren. Ihm verdankt die Menschheit beispielsweise den Pflug, den er erfand, als die anderen Eternals monierten, die Dampfmaschine käme für die Welt noch zu früh. Allerdings macht sich Phastos im Laufe der Geschichte immer mehr Vorwürfe, da er seine genialen Technologien als Ausgangspunkt für vermehrtes Leid und verheerende Kriege auf der Erde sieht, so beispielsweise bei der Zerstörung Hiroshimas durch eine Atombombe.


Ein bunter Held*innen-Mix
Als ruhmreicher Krieger und göttlicher König machte sich Gilgamesh im bronzezeitlichen Mesopotamien einen Namen. Als Eternal ist er vor allem für seine enorme physische Kraft bekannt, er übertrifft alle anderen Mitglieder seiner Gruppe an körperlicher Stärke. Meistens kämpft er mit bloßen Fäusten, deren Hiebkraft allerdings mithilfe von projizierten Rüstungsteilen aus kosmischer Energie vergrößert wird. Laut sumerischer Geschichtsschreibung wurde der historische Gilgamesch im 3. Jahrtausend v. Chr. als Gottkönig von Uruk verehrt. Der nach dem Herrscher benannte Epos gilt als eines der ältesten, noch erhaltenen Schriftstücke überhaupt; die tatsächliche Existenz dieses sumerischen Herrschers ist allerdings bis heute umstritten.
Zweifelsfrei in der Welt der Legenden verankert ist hingegen die Figur Makkari. In den Comics männlich, im Film weiblich, ist Makkari hauptsächlich für extreme Schnelligkeit berühmt. Durch diese Fähigkeit kann die Figur in Windeseile abgelegene Orte erreichen, Nachrichten übermitteln und weit entfernte Personen, Wesen oder Gegenstände heranschaffen. Außerdem weiß Makkari die Geschwindigkeit im Kampf bestens einzusetzen. Der römische Götterbote Merkur – das Pendant des griechischen Hermes – ist das mythologische Gegenstück zu diesem Eternals-Mitglied.
Sprite nimmt eine besondere Stellung unter den Eternals ein. Anders als der Rest der Superhelden-Riege hat Sprite ein dauerhaft kindliches Aussehen. Sie (in den Comics ist Sprite männlich) wird nie erwachsen, was sich auch in ihrer Persönlichkeit widerspiegelt. Sprite ist oft zu Scherzen aufgelegt und wenn es ihr langweilig wird, kann es passieren, dass sie eine kindische Torheit begeht. Ihre Fähigkeiten sind jedoch sehr mächtig: das Spezialgebiet Sprites sind Illusion und Täuschung. Sie kann ihre Gestalt wechseln und Personen um sich herum unsichtbar machen oder vervielfältigen. Außerdem ist sie in der Lage, mit bloßer Gedankenkraft Projektionen von Gegenständen, Orten oder Ereignissen zu erzeugen. Der mythologische Ursprung Sprites liegt in der anglo-keltischen und nordischen Folklore. Ihre weibliche Filmform ist stark mit Feen, Elfen und Naturgeistern, wie zum Beispiel Tinker Bell, assoziiert. Männliche Pendants sind die europäische Sagengestalt Puck (eine Art Klabautermann), Robin Goodfellow (ein spezieller Puck in Shakespeares Ein Sommernachtstraum) oder Peter Pan (Romanfigur von J. M. Barrie). Deutlich wird hier, dass Sprite zwar ebenso wie die anderen Eternals Einzug in die Mythologie der Menschen gehalten hat, aber scheinbar eine besondere Vorliebe dafür hatte, mit Schriftsteller*innen zu interagieren.


Das ambivalente Duo
In dieser bunten Truppe antiker Gottheiten, glorreicher Held*innen und fantastischer Sagenfiguren tauchen jedoch auch zwei Eternals auf, deren mythologischer Bezug nicht so offensichtlich daher kommt. Der erste dieser beiden ist Kingo. Im Film ist er vor allem dafür berühmt, seinem Eternal-Dasein mehr oder weniger den Rücken gekehrt und stattdessen eine Karriere als Bollywood-Schauspieler eingeschlagen zu haben. Eine markante Superkraft fehlt ihm im Gegensatz zu seinen Mitstreitern. Am auffälligsten ist, dass er die kosmische Energie als Geschosse und Projektile aus seiner Hand abfeuern kann. Das komplette Gegenteil dazu scheint seine Comicvorlage zu sein, denn hier tritt er als ehrenhafter Samurai auf, der vorzugsweise mit den zwei traditionellen Schwertern Katana und Wakizashi kämpft und kaum auf übernatürliche Waffen zurückgreift. Ein personifiziertes Vorbild aus dem Bereich der Mythologie gibt es bei Kingo nicht. Namentlich käme höchstens der babylonische Gott Kingu in Frage, doch ist dieser erstens relativ unbekannt und zweitens teilt er keine nennenswerten Gemeinsamkeiten mit dem Superhelden.
Ähnliches trifft auch auf den letzten verbleibenden Eternal zu. Druig hat zwar eine einprägsame, übernatürliche Fähigkeit (er kann die Gedanken anderer steuern und sie somit kontrollieren), jedoch fehlt der Bezug zu einer bestimmten mythologischen Figur. Betrachtet man nur den Namen, erinnert dieser stark an die Druiden; jene keltischen Naturzauberer, die als Vorlage des berühmten Merlin dienten. Die Gedankenmanipulation als magisches Element lässt sich zumindest theoretisch mit den Druiden assoziieren, auch wenn diese nicht für derartige Fähigkeiten bekannt sind. Auffällig in den Comics ist, dass Druig im Laufe der Menschheitsgeschichte eine Vorliebe für den osteuropäischen und zentralasiatischen Raum hatte. So marschierte er beispielsweise mit dem Mongolenheer nach Europa oder arbeitete für den sowjetischen Geheimdienst KGB. Immer wieder durchkreuzt er durch seine Taten die Pläne seiner Weggefährten und gilt – in der Vorlage – als Eternal mit Hang zum Bösen. Jedoch sucht man in den Mythologien dieser Regionen – etwa der slawischen oder tengrischen – vergeblich nach Gottheiten und Helden mit einem namentlichen oder charakterlichen Bezug zu Druig. Und somit stellt er, auch wegen seiner zwiespältigen Persönlichkeit, das wohl ambivalenteste Mitglied der Gruppe dar. Doch in der Riege von mächtigen Göttern und sagenumwobenen Figuren ist eine mysteriöse Gestalt zur Abwechslung auch mal ganz erfrischend.


Christopher stammt von den Hängen des Erzgebirges, suchte jedoch beizeiten das Abenteuer in der großen Stadt. Seit Kindertagen interessiert er sich für die Länder, Kulturen und Sprachen dieser und anderer Welten. Heraus kamen ein Ethnologie-Studium in Leipzig, die Begeisterung für Tolkiens Werke und ein Plüsch-Chewbacca auf der Couch.