Ausgabe 8Leitartikel

DU KANNST NICHT VORBEI VS. EXPECTO PATRONUM

Ein magischer Vergleich zwischen Der Herr der Ringe und Harry Potter

Hexerei, Magie, Zauberei – oft spielen diese Phänomene eine tragende Rolle in Fantasy-Welten, so auch bei Der Herr der Ringe und Harry Potter. Die beiden Werke haben das Genre maßgeblich revolutioniert und doch könnten sie in vielerlei Hinsicht nicht unterschiedlicher sein. So auch beim Thema Zauberei. Heute möchten wir uns detailliert anschauen, welche Parallelen und Gegensätze hinsichtlich der magischen Möglichkeiten in diesen beiden Meilensteinen der Fantasy zu finden sind.

Welche Rolle spielt Magie?

Zuallererst müssen wir uns anschauen, welchen Platz Zauberei in den beiden Werken einnimmt. Bei Harry Potter ist dies relativ leicht zu beantworten. Das Universum, welches von J. K. Rowling erschaffen wurde, ist prinzipiell auf unserem Planeten angesiedelt. Jedoch teilt sich die Erde in zwei Sphären. Neben der normalen Dimension, in der wir alle leben, existiert eine für nichtmagische Menschen (auch Muggel genannt) verborgene Ebene. Diese Zauberwelt unterscheidet sich rein optisch kaum bis gar nicht von unserer Realität, jedoch ist in ihr Magie omnipräsent – auch wenn niemand weiß, woher diese eigentlich kommt.

Zauberei spielt demnach eine übergeordnete Rolle für Hexen und Zauberer in Harry Potter. Der Alltag, das gesellschaftliche Miteinander, die schulische und berufliche Laufbahn – nahezu sämtliche Aspekte des Lebens werden von Magie geprägt. Die Trennung zur Muggelwelt ist dabei allerdings konsequent. Mit großer Vehemenz wird versucht, Magie mit aller Macht von der normalen Menschheit fernzuhalten, da eine Offenbarung der Zauberwelt eine enorme Bedrohung für ebendiese wäre.

In Der Herr der Ringe verhält es sich mit Zauberei etwas komplizierter. Ähnlich wie bei Harry Potter existieren in Tolkiens Welt unerklärliche Phänomene, fantastische Fabelwesen und andere, magisch anmutende Elemente. Ein klassisches Magiekonzept existiert in Der Herr der Ringe jedoch nicht. Häufig ist nicht ganz klar, ob übernatürliche Aspekte tatsächlich auf Magie beruhen oder einen anderen Ursprung haben.

Zauberei ist für viele Bewohner:innen von Mittelerde nichts weiter als Hokuspokus. Feuerspeiende Drachen kennen die Meisten nur aus Märchen und Gandalf ist in den Augen vieler Hobbits lediglich ein Feuerwerkskünstler, Unruhestifter und Scharlatan, der nur faule Tricks auf Lager hat. So mag zwar Zauberei in Mittelerde ebenso verbreitet sein, jedoch tangiert es einen Großteil der Bevölkerung eher weniger oder wird zumindest nicht als solche wahrgenommen. Das mag auch daran liegen, dass sich Magie in Mittelerde, anders als in der Welt von Harry Potter, nicht zu einem institutionalisierten, allumfassenden Phänomen entwickelt hat.

Wer ist fähig, Magie zu nutzen?

Im zweiten Punkt nehmen wir unter die Lupe, welche Personen oder Wesen in den beiden Welten überhaupt in der Lage sind, zu zaubern. Hier verhält es sich ähnlich wie gerade eben: bei Harry Potter ist dies ziemlich klar definiert. Manche Menschen können Magie nutzen, manche können es nicht. Abhängig scheint dies von bestimmten Genen zu sein, jedoch ist nicht eindeutig, ob auch andere Faktoren eine Rolle spielen.

Hexen und Zauberer, deren Vorfahren ebenfalls magische Fähigkeiten besaßen, werden als reinblütig bezeichnet (Beispiel: Ron Weasley). Jene, die sowohl von Magier:innen als auch von normalen Menschen abstammen, gelten als Halbblut (Harry Potter). Schließlich kann es auch vorkommen, dass einer vermeintlich reinen Muggelfamilie eine Hexe oder ein Zauberer entspringt (Hermine Granger). Im umgekehrten Fall ist es auch möglich, dass Kinder von magisch veranlagten Eltern keine Zauberfähigkeiten besitzen. Sie werden Squibs genannt, ihr prominentester Vertreter ist wohl Argus Filch, der Hausmeister von Hogwarts. In der Welt von Harry Potter gibt es neben zaubernden Menschen außerdem auch eine Vielzahl von Fabelwesen, die in der Lage sind, Magie zu nutzen. So kann beispielsweise der affenähnliche Demiguise die kurzfristige Zukunft vorhersagen und sich bei Gefahr unsichtbar machen.

In Der Herr der Ringe ist es auch in diesem Punkt wieder etwas komplexer. Manche Wesen scheinen von Natur aus oder aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Spezies magische Fähigkeiten zu besitzen. Möglicherweise hängt dies davon ab, wie nahe die Figur dem „Göttlichen“ ist.

In Tolkiens Kosmos existieren mit den Valar götterartige Wesen, die unter anderem für die Formung von Arda (der Welt, auf der sich Mittelerde befindet) und die Erschaffung der verschiedenen Völker verantwortlich sind. Zweifelsohne besitzen sie eine Macht, die stark an übernatürliche Zauberkräfte erinnert. Melkor, der dunkle Herrscher des Ersten Zeitalters und einstiger Gebieter Saurons, war einer von ihnen. Die Diener der Valar stehen einen Rang unter ihren Meistern und werden Maiar genannt. Auch diese Geistwesen sind in der Lage, Magie zu nutzen. Prominente Mitglieder dieser Gruppe sind neben Sauron unter anderem die fünf Istari, zu denen Gandalf und Saruman gehören, oder die Balrogs.

Als die ersten erschaffenen Wesen von Mittelerde haben die Elben eine enge Verbindung zu den Valar. Viele von ihnen leben Seite an Seite mit ihren Schöpfern in den Unsterblichen Landen. Doch auch die Elben von Mittelerde beziehen ihre Macht durch die Nähe zum Göttlichen. Galadriel, Elrond oder Celebrimbor besitzen allesamt Fähigkeiten, die weit über natürliches Talent hinausgehen und magische Tendenzen aufweisen. Je weiter entfernt eine Lebensform von den Valar ist, umso schwächer scheint deren Potential für Zauberkraft zu sein. Kontextabhängig gibt es jedoch in Tolkiens Welt diesbezüglich große Unterschiede und so bleibt es reine Spekulation, auf welcher Basis ein bestimmtes Wesen magisch veranlagt ist; vor allem vor dem Hintergrund, dass in Der Herr der Ringe eben kein maßgeschneidertes Magiesystem existiert.

Wie wird Magie kanalisiert?

Manchmal sind es die Charaktere, manchmal sind es Gegenstände, die magisch sind. Und manchmal brauchen magische Charaktere magische Gegenstände, um ihre Kräfte zu entfalten. So verhält es sich, zumindest standardmäßig, bei Harry Potter. Eine Hexe oder ein Zauberer verfügt grundsätzlich über spezielle Fähigkeiten und kann diese auch in den meisten Situation einsetzen. Jedoch hat es sich aus Effizienzgründen etabliert, einen Zauberstab zu verwenden. Dieses Werkzeug kanalisiert den gewünschten Spruch, hilft bei der exakten Ausführung und schützt vor unvorhersehbaren Risiken. Denn Magie in der Welt von Harry Potter kann wild und zerstörerisch sein, wenn sie unkontrolliert benutzt wird. Nur wenige Hexen und Zauberer beherrschen die Kunst des Zauberns ohne entsprechendes Hilfsmittel. Auf Wizarding World, der offiziellen Webseite von Harry Potter, wird die Schwierigkeit eines solchen Unterfangens wie folgt beschrieben: „Zaubern ohne Zauberstab ist wie freihändig Fahrrad zu fahren. Während eines Erdbebens.“

Daneben besteht im Universum von Harry Potter auch die Möglichkeit, Magie auf ein Objekt oder ein Lebewesen zu übertragen und somit ein Ventil für besondere Kräfte zu schaffen. Dumbledores Denkarium (in ihm kann man gespeicherte Erinnerungen beliebiger Personen visuell erleben) oder sein Deluminator (fängt elektrisches Licht ein und speichert es) beziehen ihre übernatürliche Funktionsweise aus Magie. Ein Horkrux ist ein Gegenstand, der durch einen dunklen Fluch erschaffen wird. Eine Hexe oder ein Zauberer ermordet eine andere Person, spaltet einen Teil der eigenen Seele ab und bewahrt diesen im gewünschten Objekt auf. So überlebt sie oder er, selbst wenn der Körper vernichtet wird – solange der Horkrux intakt bleibt.

In Der Herr der Ringe können ebenfalls sowohl Charaktere als auch Gegenstände magisch sein. Häufig scheint es jedoch der Fall zu sein, dass verzauberte Objekte dem Träger überhaupt erst Zugang zu Magie verschaffen oder die bereits bestehenden Fähigkeiten vergrößern.

Bestes Beispiel hierfür sind die Ringe der Macht. Der Meisterring verstärkt die ohnehin enorme Zauberkraft seines Erschaffers Sauron. Nur durch das Fortbestehen dieses Objekts wurde der dunkle Herrscher am Ende des Zweiten Zeitalters nicht vernichtet, obwohl seine körperliche Hülle damals zerstört wurde. Und auch jedes beliebige Wesen, welches den Einen Ring benutzt, wird durch diesen geprägt. Er macht jeden seiner Träger unsichtbar, verlieh Gollum ein unnatürlich langes Leben und beeinflusste Bilbo und Frodo physisch sowie psychisch. Gandalf und Galadriel schreckten vor dem Meisterring zurück, da sie wussten, dass er ihnen eine zu große und entsetzliche Macht verleihen würde.

Und auch die anderen Ringe verleihen ihren Trägern besondere, wenn auch anders geartete und abgeschwächte Fähigkeiten. Galadriel und Elrond, die gemeinsam mit Gandalf die Träger:innen der drei Elbenringe sind, erhalten durch die Kraft ihrer Ringe heilende und bewahrende Fähigkeiten. Sie erschufen eine Art magische Schutzhülle gegen das Böse für ihre Ländereien Lothlórien und Bruchtal. Die neun Menschenkönige, die von Sauron einst Ringe erhielten, wurden zu einem ewigen Leben als untote Schatten verdammt. Während sie jedoch zuvor als sterbliche Menschen nicht in der Lage waren, Zauber zu wirken, galten sie mithilfe ihrer Ringe als gefürchtete Magier, allen voran der Hexenkönig von Angmar. Die sieben Zwergenringe verhalfen ihren Trägern, unendliche Reichtümer anzusammeln, allerdings verfielen die Zwergenfürsten auch einer unersättlichen Gier nach Gold und Edelsteinen. Ihre Sturheit und ihr Zorn wuchsen ins Unermessliche.

Welche Macht geht von Magie aus?

Nun haben wir herausgefunden, wer in den beiden Universen auf welche Weise zaubern kann. Da bleibt abschließend nur noch zu klären, was mit einem Zauber bewirkt werden kann und wie mächtig die Magie in beiden Welten tatsächlich ist. Bei Harry Potter ist dies wieder etwas leichter zu definieren. In den meisten Fällen ist hier ein ganz bestimmter Zauberspruch für einen ganz bestimmten Effekt vorgesehen. Lumos verwandelt den eigenen Zauberstab quasi in eine Taschenlampe, Wingardium Leviosa lässt Dinge schweben und Avada Kedavra tötet ganz gezielt jedes Lebewesen, auf das der Fluch abzielt. Von eher harmlosen Hilfszaubern für den Alltag bis hin zu düsteren Todesflüchen ist also alles dabei. Manche Sprüche sind eher allgemein nützlich, während andere ein äußerst spezifisches Spektrum bedienen, wie zum Beispiel Expecto Patronum. Durch diesen Ausruf wird man durch einen Patronuszauber in Tierform vor seelenaussaugenden Dementoren geschützt.

Das Ergebnis eines Zauberspruchs hängt nicht nur von der korrekten Aussprache oder dem passenden Zauberstab, sondern auch von Talent und Übung der ausführenden Person ab. Leicht kann ein Spruch nach hinten losgehen oder unerwünschte Nebeneffekte erzeugen. Je fähiger die Hexe oder der Zauberer ist, umso wirkungsvoller ist die Magie.

Besonders machtvoll und gefährlich sind natürlich jene Zauber, mit denen man andere beeinflussen, kontrollieren oder gar eliminieren kann. Dieses Spektrum reicht vom Wahrsagen und Gedankenlesen über körperliche oder seelische Folter bis hin zum Mord. Aber auch gewaltige magische Schutzschilde, Teleportation, das Heraufbeschwören mächtiger Wesen oder sogar Zeitreisen sind mit den richtigen Zaubersprüchen und genügend Expertise realisierbar. Im Grunde sind Hexen und Zauberern bei Harry Potter kaum Grenzen gesetzt, wenn sie ihr Handwerk richtig beherrschen.

In Der Herr der Ringe gibt es keine vorgefertigten Zauber für spezifische Situationen. Immer, wenn Magie zum Einsatz kommt, ist dies wahrscheinlich ein Stück weit Improvisation oder eine eigene Kreation. Gandalf und Saruman werden als Mitglieder des Istari-Ordens allgemein als Zauberer bezeichnet. Oft nutzen sie ihre übernatürlichen Fähigkeiten, um sich einen Vorteil zu verschaffen. So ist es Gandalf möglich, durch seine Magie den Balrog von Moria zu besiegen („Du kannst nicht vorbei!“), die gefürchteten Ringgeister mit einem Lichtzauber in Schach zu halten oder mithilfe einer Druckwelle eine ganze Orkschar zu beseitigen. Saruman ist in der Lage, das Wetter zu steuern, mit seiner Stimme andere Wesen zu manipulieren oder einen Feuerball zu schleudern. Da jedoch die Istari ihre wahre Stärke den Völkern Mittelerdes nicht preisgeben dürfen, bleibt es reine Spekulation, zu welchen Taten sie wahrhaftig fähig sind.

Die weisesten unter den Elben verfügen mitunter über ähnliche Fähigkeiten, meist sind diese jedoch gegenstandsgebunden wie bei den Ringen der Macht, Galadriels Spiegel (der Dinge zeigt, die waren, die sind und manche, die vielleicht noch sein werden) oder Galadriels Phiole (die das Licht von Earendils Stern beinhaltet und finstere Kreaturen abwehrt). Die Palantíri – sehende Steine, mit denen man über größere Strecken kommunizieren kann – wurden im Zweiten Zeitalter von Feanor, dem wohl mächtigsten Elben aller Zeiten, erschaffen.

Am eindrucksvollsten nutzten wohl aber die dunklen Herrscher Melkor und Sauron ihre magischen Fähigkeiten. Im Ersten Zeitalter züchtete Melkor durch verderbte Zauberkraft Orks, Trolle und Drachen aus anderen Lebewesen von Mittelerde. Er war in der Lage, diese durch und durch bösen Geschöpfe an seinen zerstörerischen Wille zu binden. Mithilfe dieser verhexten Kreaturen war es auch Sauron Jahrtausende später möglich, Furcht und Schrecken unter den freien Völkern zu verbreiten. Allein durch ihre magischen Kräfte war es den dunklen Herrschern möglich, solch verheerende Kriege über Mittelerde zu bringen.

Doch ganz gleich ob nun durch die schwarze Magie von Voldemort oder Sauron, wir können froh sein, dass Harry Potter oder Gandalf mit ihren Zauberkünsten stets zur Stelle sind und die Mächte der Finsternis bekämpfen können. Und zur Not tut dies auch ein unscheinbarer Hobbit, der eigentlich mit Zauberei so gar nichts am Hut hat.

Christopher stammt von den Hängen des Erzgebirges, suchte jedoch beizeiten das Abenteuer in der großen Stadt. Seit Kindertagen interessiert er sich für die Länder, Kulturen und Sprachen dieser und anderer Welten. Heraus kamen ein Ethnologie-Studium in Leipzig, die Begeisterung für Tolkiens Werke und ein Plüsch-Chewbacca auf der Couch.

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