Ausgabe 5Leitartikel

GUT UND BÖSE IN DER PHILOSOPHIE

Betrachtungen von Sokrates bis Annemarie Pieper

Gutes ohne Böses kann es geben; Böses ohne Gutes aber kann es nicht geben.“

Thomas von Aquin

Seit Menschengedenken schwebt der Gegensatz zwischen Gut und Böse über uns. Der Ansatz des Philosophen und Theologen Thomas von Aquin besagt zwar, dass es das vollständig und unbedingt Gute gibt, jedoch das reine Böse nicht. Denken wir an bestimmte Schurken aus Film und Literatur, so fällt es schwer, das absolut Böse nicht zu sehen. Speziell die Fragen nach der Bedeutung oder Herkunft von Gut und Böse üben eine unerklärliche Faszination auf den Menschen aus. Dies ist eine Tatsache, welche man sich auch in zahllosen Werken aus Fantasy und Science-Fiction zu Nutze gemacht hat, um das Publikum zu begeistern. Schon ab dem Kindesalter wachsen wir mit den Erzählungen über den guten Prinzen und der bösen, Kinder verspeisenden Hexe auf, werden erwachsen mit den mutigen Taten von Harry Potter und den abgrundtief bösen, gewalttätigen Absichten von Lord Voldemort und verfestigen so unsere (stereotypen) Vorstellungen von Gut und Böse, welche jedoch wesentlich komplexer sind, als dass sie lediglich anhand von positiven oder negativen Charaktereigenschaften oder den Konsequenzen bestimmter Handlungen beschrieben werden könnten.

Von den meisten philosophiegeschichtlichen Standpunkten aus gesehen ist kein Mensch jemals nur böse und auch entgegen der Ansichten von Thomas von Aquin ist kein Mensch jemals nur gut. Bei der Betrachtung dieses gegensätzlichen Paares im Kontext von Science-Fiction, Fantasy oder auch Horror verlassen wir jedoch die Grenzen des Menschlichen und betrachten das Gute und Böse ebenso mit Blick auf andere Wesen, wie zum Beispiel den machthungrigen Imperator Palpatine, die strenge Großinquisitorin von Hogwarts mit Hang zu dunkler Magie, Dolores Umbridge, oder den nur optisch ab und zu menschlich erscheinenden Graf Dracula. Bei diesen Bösewichten handelt es sich nicht um gewöhnliche Menschen, da sie eine unverkennbare, inhumane Attitüde an den Tag legen. Was sie jedoch vereint, sind typisch menschliche Eigenschaften wie Zielstrebigkeit, Disziplin oder einen missverstandenen Hang zur Romantik. Speziell dadurch können wir uns teilweise mit ihnen identifizieren.

Die Abkehr des Menschen vom Guten beginnt beispielsweise aus Sicht der christlichen Bevölkerung unserer Erde mit dem Erbsündenfall des Menschen, im Zuge dessen er sich durch den Teufel zu bösen Gedanken und Taten überlisten ließ und zum Sündiger wurde. Die großen Philosophen der Geschichte allerdings betrachten die Dialektik zwischen Gut und Böse eher mit Blick auf den menschlichen Naturzustand und somit hinsichtlich anthropologischer Grundvorstellungen über den Menschen. Andere Philosophen nähern sich der Frage seitens der Moral und somit den ethisch-sittlichen Werten, Normen oder Grundsätzen menschlichen Handelns, welche in einer Gesellschaft als verbindlich akzeptiert werden können und ein Handeln als gut oder im Gegensatz dazu als unmoralisch charakterisieren. Insbesondere die der Erziehung zugrundeliegenden Moralvorstellungen oder die Sozialisation in gesellschaftlichen Institutionen können uns zu gut- oder bösartigen Menschen formen.

Philosophische Fragen, wie auch die nach dem Guten oder Bösen, haben nie den unbedingten Anspruch beantwortet zu werden und schon gar nicht kann man sie richtig oder falsch beantworten. Genau in dieser Uneindeutigkeit liegt jedoch ihre Faszinationskraft. Beginnt man damit, einen bösen Menschen nach antiker philosophischer Vorstellung zu beschreiben, so würde der große Sokrates ihn vermutlich im Kontext böswilliger Handlungen betrachten, welche auf die fehlende Motivation des Menschen, Dinge zu hinterfragen, zurückzuführen sind. Grundlage für diese Betrachtung wäre seine erkenntnistheoretische Annahme, dass der Mensch zunächst Wissen darüber erlangen muss, was die Begriffe, mit welchen wir täglich Diskurse führen und welche Grundlage bestimmter Handlungen sind, eigentlich bedeuten. In einem speziell von ihm entwickelten Dialogverfahren, versuchte er das Scheinwissen seines Gegenübers aufzudecken und ihm zur echten Erkenntnis zu verhelfen. Natürlich setzt dies den Willen voraus, sich auf eben solche Dialoge einzulassen und sich als Wesen zu begreifen, welches nicht frei von Irrtümern ist. Nur wenn ein Mensch weiß, was zum Beispiel Gerechtigkeit oder Tugendhaftigkeit bedeuten, wird er auch gerecht oder tugendhaft handeln können. Eine Handlung, welcher eben diese Werte zugrunde liegen, wird gutartig sein. Doch ist es wirklich so einfach?

Nehmen wir an, Lord Voldemort hätte sich auf ein Gespräch mit einem seiner Todesser eingelassen, um darüber zu sinnieren, ob der Tod von Harry Potter dem entspricht, was man allgemein als gerecht bezeichnen könnte. Nun, da beide Dialogpartner weder eine gesellschaftsfähige Auffassung von Gerechtigkeit haben (die Verteilung und Ausübung von Magie stünde nur Reinblütern zu, alle anderen sollten sterben) noch die Motivation besitzen, sich als fehlbare Wesen zu begreifen, welche von Zeit zu Zeit sich selbst reflektieren, wäre die sokratische Methode wohl eher nicht von Erfolg gekrönt und Lord Voldemort samt Entourage könnten aufgrund ihrer Willensschwäche niemals gutwillig handeln.

Viele Philosophen beschäftigten sich bereits mit der Dialektik von Gut und Böse, so auch Sokrates.
(Hier zu sehen als Statue vor der Akademie von Athen)

Aristoteles würde hier anknüpfen und feststellen, dass sich bei Voldemort und vergleichbaren Bösewichten die charakterlichen Tugenden wie Besonnenheit, Tapferkeit oder Barmherzigkeit nicht entwickeln konnten und sie zur Extreme neigen. Dabei zeigen sie das Resultat fehlender Vernunft und somit einer mangelhaften Affektkontrolle, wodurch der Mensch Dinge tun wird, die als böse bezeichnet werden können. Obwohl er von Aristoteles im Naturzustand als grundsätzlich vernunftbegabt charakterisiert wird, neigt der Mensch dazu, der inneren Stimme der Vernunft zu widersprechen und seinen (animalischen) Trieben freien Lauf zu lassen, wobei er sich kaum noch vom Tier unterscheidet. Ein passendes Beispiel hierfür wäre die Figur des zum Monster verdammten Prinzen in Die Schöne und das Biest. In seinem Verhalten gegenüber der bezaubernden Belle kommen die unkontrollierten Triebe seiner tierischen Seite zum Vorschein, was ihn überhaupt erst zum Biest macht. Ihnen wird nur in bestimmten Momenten durch seine verborgenen menschlichen Anlagen zur Vernunft Einhalt geboten.

Paradoxerweise ist in Anlehnung an die deutsche Philosophin Annemarie Pieper jedoch anzumerken, dass unterdrückte Triebe und Begierden ebenso eine Quelle bösartigen Handelns sein können. Schließlich ist der Mensch in seinem Naturzustand auch ein Bedürfniswesen. Dieser Gedanke impliziert, dass es auch vernünftig sein kann, nicht immer rein rational zu handeln, um unbedingt gut zu sein. Können wir es den Bösewichten daher verübeln, dass sie ihr Verhalten gelegentlich nicht unter Kontrolle haben? Macht sie das durch und durch böse oder zeigt sich hier nicht auch ein Stück Menschlichkeit, welche letztlich unserem Wesen entspricht?

Der Philosoph Thomas Hobbes behauptet, dass Menschen ohnehin von Natur aus schlecht sind und zu purem Egoismus neigen. Dieses Verständnis hat der Mensch laut Hobbes ebenfalls von seinen Mitmenschen, was eine durch und durch pessimistische Sicht auf eine mögliche Gutheit der menschlichen Natur wirft. Doch auch bei ihm werden rationale Anlagen im Menschen gesehen, welche uns theoretisch dazu befähigen, gut sein zu können. Damit wir jedoch auch in der Praxis moralisch gute Wesen sein können, bedarf es eines übergeordneten Souveräns, unter welches wir uns freiwillig stellen – den Leviathan.

Titelbild von Thomas Hobbes‘ Leviathan (1651)

Gemeint ist hiermit nicht das grausame, kosmische Ungeheuer aus der jüdischen Mythologie, welches Sünder am Tag des jüngsten Gerichts verschlingt. Hobbes‘ Leviathan vereint vielmehr all die Menschen unter sich, welche in einen Gesellschaftsvertrag eingewilligt haben, der die staatliche Ordnung herstellen und den Menschen aus ihrer von Grund auf schlechten Natur befreien soll. Doch können wir uns vorstellen, wie sich der Superschurke Loki, die intrigante Königin Cersei oder die bösartige Hexe Bellatrix Lestrange unter eine vernunftgeleitete, gerechte Autorität stellen und somit ihre Listigkeit und Gemeinheit in den Griff bekommen? Wohl eher nicht. Es ist viel wahrscheinlicher, dass ihre egoistische Natur die Überhand gewinnt und sich hier keinerlei Verständnis für Sitte und Anstand entwickelt.

Dieses fehlende Verständnis von Moral und somit die Tendenz zu schlechtem, selbstsüchtigem Handeln des Menschen, würde der Philosoph Jean-Jacques Rousseau jedoch nicht mit den grundlegenden Anlagen zum Bösen im Menschen begründen. Im Gegenteil – er sieht uns als von Natur aus gut an. Was uns verdirbt sind viel mehr die Gesellschaft, das Eigentum oder auch die Wissenschaft und deren Fortschritte. Durch sie heben wir die Gleichheit unter uns auf und entwickeln uns zu neidischen, rachsüchtigen Menschen und bilden daher bösartige Charakterzüge aus. Jedoch kann ein Leben unabhängig von der Gesellschaft, ohne jeglichen Besitz und Fortschritt, wohl kaum die Lösung sein, bedenkt man, dass auch die Schurken aus Film und Literatur sich dadurch nicht zum Besseren verändert haben. So war es beispielsweise Ursula, die Antagonistin aus Arielle, welche durch ihr abgeschottetes Leben tief im Ozean nicht gerade eine gutartige Einstellung gegenüber ihren gelegentlichen Besuchern entwickelte, sondern diese quälte und eines schönen Lebens beraubte. Ihre Gesinnung war nicht von Moral geprägt, nur weil sie sich von der Gesellschaft abwandte.

Die Betrachung von Gut und Böse ist also keine einfache, vor allem aus philosophischer Sicht. An sich ist dieser Gegensatz einer der grundlegendsten überhaupt und doch debattieren Philosophen bereits seit Jahrtausenden über eine passende Herangehensweise. Blicken wir zurück auf das Zitat von Thomas von Aquin, so wird in der Tat deutlich, dass böse Handlungen nur im Kontext von Moral und Vernunft als ebensolche eingestuft werden können. Würden Harry Potter oder Luke Skywalker nicht derartige moralische Instanzen verkörpern und wüssten wir nicht, dass deren Handlungen aus allgemein gesellschaftlicher Sicht zu befürworten sind, könnten wir vermutlich die Boshaftigkeit von Lord Voldemort und Darth Vader weniger gut wahrnehmen. Von daher sind wir an sich froh über die beiden Extreme der Moral, denn ohne Schurken wären all die fantastischen Werke definitiv weniger faszinierend.

Melanie hat Anglistik und Philosophie in Leipzig studiert und ist jetzt Lehrerin für Englisch und Ethik an einem Gymnasium. Vor allem durch Game of Thrones und Harry Potter ist sie dem Fantasy-Genre verbunden.

Quelle
Platon: TheaitetosAristoteles: Nikomachische EthikHobbes, Thomas (1651): LeviathanRosseau, Jean-Jacques (1762): Vom Gesellschaftsvertrag

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