Ausgabe 1Planetastisch

MITTELERDE IM WELTALL

Der Schicksalsberg, jener verhängnisvolle Vulkan im Herzen Mordors, zählt zu den wichtigsten und berühmtesten Orten in Tolkiens Der Herr der Ringe. Was würden Fans wohl tun, um einmal selbst die Hänge des Berges emporzuklettern, wie einst Frodo mit dem Einen Ring um den Hals? Nun, eine Raumschiffreise über etwas mehr als eine Million Kilometer würde genügen. Denn der Schicksalsberg befindet sich nicht nur im fantastischen Mittelerde, sondern quasi vor unserer galaktischen Haustür: auf dem Saturnmond Titan.

Seit jeher benennen Menschen neuentdeckte Orte, Wesen oder Gegebenheiten nach altbekannten Dingen. Man denke dabei nur an Tiernamen, die erst beim zweiten Lesen abstrus wirken. Oder wer hat schon mal ernsthaft darüber nachgedacht, wie folgende Tiere aussehen würden, wenn die Kombination wörtlich genommen wird: Walross, Ameisenbär, Vogelspinne. Ähnlich verhält es sich mit geographischen Bezeichnungen. Während des Zeitalters der Entdeckungen im 15. und 16. Jahrhundert hatten die meist aus Europa stammenden Erkunder alle Hände voll zu tun, unerforschte Ländereien, Inseln oder Gebirge zu taufen. In vielen Fällen griffen sie dabei auf heimische Namen zurück und setzten einfach ein „Neu“ davor (Neuseeland, Neuengland, Neukaledonien) oder benannten neu entdeckte Orte nach großen Persönlichkeiten (Kolumbien, Philippinen, Bismarck-Archipel).

Bei der Entdeckung von Himmelskörpern wurde dabei nicht anders verfahren. Die Planeten unseres Sonnensystems erhielten beispielsweise die Namen römischer Gottheiten (in anderen Kulturkreisen trugen sie zuvor selbstverständlich „regionale“ Namen). Mit fortschreitender Technologie wurde es Wissenschaftlern schließlich möglich, einen genaueren Blick auf die uns umgebenden Objekte im Weltall zu werfen. Und wie zu erwarten war, existierten auf den erdähnlichen Gesteinsplaneten Mars, Venus und Merkur sowie auf den zahlreichen festen Monden unseres Sonnensystems topographische Landschaften wie auf der Erde: Berge, Täler, Ebenen, Krater. Und diese mussten nun auch benannt werden.

Hierbei kamen bei den diversen Himmelskörpern verschiedene Methoden zur Anwendung. Auf dem Mond beispielsweise sind derartige Objekte noch relativ durcheinander tituliert worden. Es gibt unter anderem einen Mont Blanc, selbstverständlich benannt nach dem höchsten Berg der irdischen Alpen (irdisch deshalb, da es auch auf dem Mond die Alpen gibt). Andere Berge wiederum tragen Namen berühmter Wissenschaftler, vor allem aus den Gebieten der Astronomie und Geologie: (James) Bradley oder (Christiaan) Huygens, zwei der höchsten Gipfel des Erdtrabanten. Und dann gibt es den Berg Dieter. Jene Erhebung wurde schlicht und ergreifend nach dem wohlklingenden deutschen Vornamen Dieter benannt.

Etwas systematischer wirkt es bei anderen Planeten oder Monden unseres Sonnensystems. Auf dem Merkur tragen Klippen die Namen berühmter Forschungs- und Erkundungsschiffe, Schluchten jene von antiken Städten und Senken heißen immer „Schlange“, jedoch in unterschiedlichen Sprachen. Und geologische Gegebenheiten auf dem Jupitermond Ganymed (benannt nach einem Mundschenk der griechischen Götter) sind fast allesamt nach Gottheiten oder Orten frühzeitlicher Hochkulturen benannt, wie etwa jene der Griechen, Ägypter, Sumerer oder Babylonier.

Von gigantischen Hobbithöhlen und frostigen Vulkanen

Nun aber zu Titan, dem größten Mond des Saturn und dem zweitgrößten Mond unseres Sonnensystems überhaupt (hinter benanntem Ganymed und sogar noch größer als der Planet Merkur). Bei diesem Himmelskörper handelt es sich um einen sogenannten Eismond. Seine Oberfläche ist aufgrund der extrem niedrigen Temperatur (durchschnittlich -179° C) mit einer bis zu 80 Kilometer dicken Eisschicht überzogen. Titan selbst verdankt seinen Namen dem griechischen Göttergeschlecht der Titanen und die meisten Orte auf dem Mond wurden nach Gottheiten, mythologischen Orten oder real existierenden Gewässern getauft. So kann man das paradiesische Shangri-La besuchen, im Forseti-Krater den gleichnamigen nordischen Gott um Gerechtigkeit bitten, oder an der Flensburger Förde spazieren gehen.

Viel entscheidender sind jedoch die Berge und Hügel des Titan, die nach Orten und Figuren aus Tolkiens Mittelerde benannt sind. Von den, im Englischen Colles genannten, kleineren Erhebungen ist Bilbos Hügel mit einem Durchmesser von ungefähr 164 Kilometern der mit Abstand größte. Welch gigantische Hobbithöhle darin errichtet werden könnte, im Vergleich zum beschaulichen Beutelsend. Jedoch sind auch die Hügel namens Gandalf, Arwen und Faramir allesamt imposante Erscheinungen, mit jeweils mehr als 60 Kilometern Breite.

Noch beeindruckender sind allerdings die Gebirgsketten des Titan. Der Schicksalsberg, offiziell Doom Mons, soll wie bei Tolkien ein Vulkan sein, allerdings keiner, der Lava speit. Vielmehr geht die Wissenschaft davon aus, dass der extraterrestrische Namensvetter von Saurons Hausberg ein sogenannter Kryovulkan ist, welcher statt heißem Magma andere Substanzen, die leicht schmelzbar sind, an die Oberfläche befördert. Hierbei kann es sich um Methan, Ammoniak oder Kohlenstoffdioxid handeln. Eine andere (und nebenbei ziemlich episch klingende) Bezeichnung für einen solchen Berg lautet Eisvulkan.

Rund um den Schicksalsberg herrscht ein raues Klima. Laut Beobachtungen ist er einem ständigen Sturm aus flüssigem Methan, Regen und Schnee ausgesetzt. Der Gipfel des Berges besitzt eine charakteristische Eiskappe. In Sachen Unwirtlichkeit steht er also seinem Pendant in Mordor in nichts nach, auch wenn es auf dem Titan in das andere Extrem ausschlägt: in Mittelerde ein feuriger Berg, im Weltall ein frostiger Vulkan. Geographisch betrachtet liegt der außerirdische Schicksalsberg übrigens gleich neben Shangri-La in der Region Aztlán, benannt nach der mythischen Heimat der Azteken.

Eine fantastische Wanderroute

Ganz in der Nähe liegt jedoch auch die einzige Gebirgskette des Titan, welche den ca. 1500 Meter hohen Schicksalsberg übertrifft: die Mithrim-Berge, deren höchste Gipfel über 3000 Meter messen. Mithrim in Mittelerde sucht man auf bekannten Karten vergebens, denn das Gebirge und der gleichnamige See befanden sich in Beleriand, dem ursprünglichen Westteil von Mittelerde. Dieser versank jedoch nach dem Sieg über Saurons einstigem Gebieter Melkor am Ende des Ersten Zeitalters im Meer.

Wer eine Bergtour auf namentlich bekanntere Gipfel wagen möchte, muss jedoch nicht lange suchen. Nach einer erschöpfenden Wanderung kann man sich auf prasselndes Kaminfeuer, gut abgehangenes Pökelfleisch und die Gastfreundschaft der Zwerge freuen, wenn etwa der Erebor oder Moria besucht werden. Im Nebelgebirge lauern grausame Orks oder das Geschöpf Gollum, mit dem verirrte Abenteurer um ihr Leben rätseln. Bei einer Kletterpartie auf den Irensaga darf der richtige Pfad nicht verlassen werden, sonst kann es passieren, man findet sich im Reich der Toten wieder und wird von dessen König samt Armee heimgesucht. Wer es aber definitiv düster und unheimlich möchte, sollte sich zu den Bergen von Angmar aufmachen und darauf hoffen, dass der Hexenkönig und seine finsteren Diener nicht zugegen sind.

Wem nach dieser Wandertour durch Mittelerde nach einer Abwechslung zumute ist, kann sich aber sogleich in das nächste fantastische Universum begeben. Bei der Durchquerung einer der sogenannten Meerengen tauchen Namen wie Seldon, Hardin und Trevize auf, benannt nach Figuren aus dem Science-Fiction-Zyklus Foundation von Isaac Asimov. Ein Spaziergang auf einer der vielen, weitläufigen Ebenen des Titan oder in eines der sogenannten Labyrinthe (komplexe Schlucht- und Talstrukturen), bringt einen ganz bequem auf über 30 Planeten des Dune-Universums von Frank Herbert, unter anderem auch nach Arrakis, dem zentralen Ort der Reihe. Dort sollte man sich aber natürlich vor den gigantischen Sandwürmern und der halluzinogenen Wirkung des Spice in Acht nehmen.

Eine spannende Verbindung besitzt der Eismond auch zu den Marvel-Filmen. Der dortige Antagonist Thanos stammt von einem Planeten namens Titan. Jedoch hat dieser Himmelskörper, zumindest im Filmuniversum, nichts mit dem größten Trabanten des Saturn zu tun. Aber wer weiß schon, was sich alles in den Tiefen unseres Sonnensystems verbirgt.

Leben auf dem Titan?

Der Titan ist also ein reichlich interessanter Ort, voller magischer Berge, verwunschener Täler und paradiesischer Inseln. Es erstaunt schon ein wenig, dass ausgerechnet dieser Mond jene mythischen Bezeichnungen erhalten hat, denn der Titan gilt als erdähnlichster Himmelskörper unseres Sonnensystems. Das liegt zum einen an der Beschaffenheit seiner Atmosphäre. Diese besitzt, ähnlich wie jene der Erde, einen großen Anteil an Stickstoff und ist sogar noch dichter als die unsrige. Des Weiteren existieren auf dem Saturntrabanten tatsächlich Gewässer, die von Flüssen gespeist werden. Jedoch beinhalten diese kein Wasser, sondern Methan und flüssiges Kohlenstoffdioxid. Es besteht sogar Grund zur Annahme, dass unter der mächtigen Eisschicht ein unterirdischer Ozean aus Wasser existiert.

Allgemein wird schon länger vermutet, dass es auf dem Titan, trotz der unwirtlichen Bedingungen, frühe Vorstufen von organischem Leben oder zumindest einer chemischen Evolution geben kann, da die Bedingungen jenen der prähistorischen Erde nicht unähnlich zu sein scheinen. Vielleicht leben also auf dem fernen Eismond tatsächlich brutale Orks und ein außerirdischer Frodo versucht gerade, den Ring der Macht einzufrieren. Und zur Abwechslung wäre es doch auch mal spannend, wenn nicht immer die stets startklaren Adler unseren fantastischen Helden aus der Misere helfen, sondern Han Solo und Chewbacca in ihrem Raumschiff, dem Millenium-Falken, angebraust kommen.

Christopher stammt von den Hängen des Erzgebirges, suchte jedoch beizeiten das Abenteuer in der großen Stadt. Seit Kindertagen interessiert er sich für die Länder, Kulturen und Sprachen dieser und anderer Welten. Heraus kamen ein Ethnologie-Studium in Leipzig, die Begeisterung für Tolkiens Werke und ein Plüsch-Chewbacca auf der Couch.

Quelle
Planetary Names - MondPlanetary Names - MerkurPlanetary Names - GanymedPlanetary Names - TitanNASAArdapedia

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