Alte und Neue GötterAusgabe 2

DER OKKULTISMUS AUS WISSENSCHAFTLICHER SICHT

Interview mit Melanie Katrin Günther

Eine von Fackelschein geflutete Stätte, in der Mitte ein steinerner Tisch. Die Weiße Hexe Jadis blickt wie in Trance zu dem darauf gefesselten Löwen Aslan. Ringsum, dämonische Diener im mystischen Antlitz. Mit verzerrten Fratzen und besessenen Stimmen geraten die unheimlichen Wesen immer weiter in Ekstase. Das sinistre Ritual findet seinen Höhepunkt, als Jadis dem Löwen einen Dolch ins Herz jagt.

Bei dieser Szene im ersten Teil der Narnia-Verfilmung gefriert so manchem Zuschauer sicher das Blut in den Adern. Dem ein oder anderen kommt beim Anblick der düsteren Zeremonie sofort der Begriff okkult in den Sinn. Auch in anderen Filmen dieser Art ereignen sich immer wieder Situationen, die in Zusammenhang mit dem ominösen Okkultismus gebracht werden: Lord Voldemort wird durch Blut und Knochen ins Leben zurückgeholt (Harry Potter und der Feuerkelch), Saruman kommuniziert durch einen Sehenden Stein mit seinem finsteren Gebieter Sauron (Der Herr der Ringe), Palpatine alias Darth Sidious erörtert mit Anakin Sykwalker Möglichkeiten, mithilfe der Dunklen Seite der Macht den Tod zu besiegen (Star Wars: Die Rache der Sith), Melisandre, die Rote Priesterin aus Asshai, gebärt einen meuchelnden Schattengeist (Game of Thrones).

So einprägsam diese schaurigen Szenen auch sind, so diffus bleibt, was daran wirklich okkult ist. Esoterik, Astrologie, Wahrsagerei, Geisterbeschwörung, Dämonenanbetung, schwarze Magie… Wo fängt Okkultismus an, wo hört er auf?

Wir haben mit der Ethik-Lehrerin und Philosophie-Absolventin Melanie Katrin Günther über das Themengebiet des Okkultismus gesprochen und dabei interessante Einblicke aus einer wissenschaftlichen Perspektive erhalten.

Vieles wird mit Okkultismus assoziiert, doch wie wird das Phänomen aus religionswissenschaftlicher Sicht definiert?

Allgemein leitet sich der nur unscharf zu definierende Begriff Okkultismus vom lateinischen occultus ab, worunter man so viel wie geheim oder verborgen verstehen kann. Betrachtet man das gesamte Phänomen des Okkultismus, so beschäftigt es sich mit der Lehre vom Verborgenen beziehungsweise wird es als eine Geheimlehre bezeichnet, welche bestimmte weltanschauliche Systeme sowie übersinnliche Tätigkeiten beinhaltet, deren Wirkungsweisen nicht wissenschaftlich belegbar sind. Die Religionswissenschaften sehen diese Auseinandersetzung des Menschen mit nicht wahrnehmbaren Kräften kritisch. Zunächst würde man aus religionswissenschaftlicher Sicht vermutlich anerkennen, dass es nicht sichtbare Kräfte auf dieser Welt gibt, welche sowohl gut, in der Regel ausgehend vom Göttlichen, oder aber schädlich für den Menschen sein können. Einen wissenschaftstheoretischen Erklärungsansatz zu den Wirkungsweisen dieser Kräfte würden die Religionswissenschaften jedoch nicht unternehmen, deuten sie die Phänomene dieser Welt doch grundsätzlich ausgehend vom Transzendenten oder Heiligen.

Was ist der Unterschied zwischen Okkultismus und Religion?

Die konkrete Gefahr okkulter Praktiken beruht auf der Annahme, dass der Mensch bei der Durchführung ebendieser mit bösen Kräften in Berührung kommt, welche er nicht einschätzen oder kontrollieren kann. Die sich aus okkulten Praktiken ergebenden Konsequenzen für das Leben sind zudem unvorhersehbar und verleiten den Menschen dazu, sein Leben als von einer transzendenten Macht determiniert zu betrachten.

Im Gegensatz zum Kontakt mit einer göttlichen Macht im religiösen Sinn, können die Mächte, mit welchen man im Okkultismus in Berührung kommt, als angstbesetzt charakterisiert werden, versprechen sie doch selten Hoffnung auf Erlösung. Die Erfahrungen mit okkulten Praktiken führen zudem zur starken Abhängigkeit in vielen Bereichen des Lebens.

Phänomenologisch lassen sich durchaus Parallelen zwischen Okkultismus und Religion feststellen. Letzteres verbindet man schließlich auch mit dem Glaube beziehungsweise der ehrfürchtigen Haltung gegenüber einer transzendenten, heiligen Macht, mit welcher man beispielsweise im Gebet in Kontakt tritt. Es besteht jedoch qualitativ betrachtet ein großer Unterschied zwischen den Charakterisierungen der transzendenten Mächte und der ethischen Konsequenzen für das Leben des Menschen, welche sich aus dem Glaube an diese Kräfte ergeben.

Welche Praktiken können als okkult bezeichnet werden? Ist dies immer mit schwarzer Magie verbunden?

Das Spektrum okkulter Praktiken ist breit gefächert: Es reicht vom spiritistischen Gläser- oder Tischrücken, bei welchem man Kontakt zur Geisterwelt herstellen möchte, über das Tarotkartenlegen und die Astrologie, um Antworten auf Zukunftsfragen zu erhalten, bis hin zu schwarzmagischen oder satanistischen Ritualen, bei welchen nicht selten auch tierische und menschliche Blutopfer dargebracht werden. Die unterschiedlichsten Praktiken können dem Okkultismus zugeordnet werden, wodurch es auch so schwierig ist, dieses Phänomen einzugrenzen. Zum Okkultismus zählt man unter anderem Magie, die Esoterik, paranormale Erscheinungen im Bereich der Grenzwissenschaften, den Spiritismus, Hexerei und Zauberei, den Satanismus und vieles mehr. Es ist nicht einfach zu sagen, ob diese Bereiche alle der schwarzen Magie zugeordnet werden können. Man muss sich hierbei stets fragen, ob man, wie in den Religionswissenschaften üblich, von bösen Mächten ausgeht. So beschäftigt sich die Esoterik, ausgehend vom altgriechischen esoterikos = innerlich, mit einem inneren Weg der Erkenntnis und gilt ursprünglich als philosophische Lehre, welche primär nichts mit dunkler Magie zu tun hat. Auch der Spiritismus, der Glaube an Geister von Verstorbenen, ist beispielsweise in der christlichen Tradition nicht zwingend als etwas Dunkles zu betrachten. Dort herrscht die Vorstellung, die Seele des Menschen sei unsterblich und gehe nach dem Tod in das Reich Gottes ein.

Durch Tarotkarten soll die Zukunft vorhergesagt werden.

Woher kommt dann die negative Konnotation des Okkultismus?

Die negative Konnotation leitet sich meiner Meinung nach aus den Einflüssen okkulter Praktiken auf die Psyche des Menschen sowie deren Lebensgestaltung ab. Ein Spieleabend, welcher mit dem vermeintlich harmlosen Brettspiel Ouija beginnt, kann insbesondere bei jungen Erwachsenen, welche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung noch nicht so gefestigt sind, schnell zu Angststörungen führen. Das für einige Menschen zum Ritual gewordene Lesen des Horoskops in der Tageszeitung am Frühstückstisch, beeinflusst unser Leben zunächst vielleicht nicht merklich, aber mit der Astrologie geht häufig das Phänomen der selbsterfüllenden Prophezeiung einher. Demnach agieren Menschen, welche an Vorhersagen glauben so, dass sich die Vorhersage auch erfüllt. Dabei können sie nicht mehr erkennen, dass nicht eine günstige Fügung der Sterne, sondern sie selbst eine bestimmte Situation herbeigeführt haben. Somit weist man zu leicht die Verantwortung für Entscheidungen von sich. Zudem repräsentiert insbesondere der Satanismus eine brutale, menschenverachtende Form des Okkultismus. Für seine Anhänger ist er eine Religion, bei der die Verehrung Satans im Zentrum steht. Oftmals gehören für die Satanisten Tieropfer, Selbstverletzung, Vergewaltigung oder gar die Tötung von Menschen dazu. Was sich hier nach einem klischeebeladenen Horrorfilm anhört, ist weiter verbreitet als man denkt – auch hier in Deutschland.

Welche Gefahren birgt der Okkultismus, besonders auch für junge Menschen?

Wie bereits erwähnt sind insbesondere junge Menschen noch auf dem Weg, ihre Persönlichkeit zu entwickeln und müssen sich dabei der Herausforderung stellen, zwischen gefühlt endlosen Sinnangeboten zu wählen, welche ihnen eine Orientierung für ihren Lebensweg bieten.

Dabei werden junge, aber durchaus auch viele ältere Menschen, nicht selten auch von Dingen angezogen, welche den Reiz des Verbotenen oder Geheimen an sich haben. Dieser Reiz geht definitiv vom Okkulten aus und vermittelt unter anderem den Eindruck, man sei jemand Besonderes, wenn man zum erlesenen Kreis derjenigen zählt, welche okkultes Geheimwissen über bestimmte Praktiken haben. Jugendliche, mit ihrem Drang nach Zugehörigkeit, fühlen sich davon angezogen.

Es ist dann schwierig zu erkennen, welche der Sinnangebote, die der Okkultismus bieten kann, auch aus ethisch-moralischer Sicht sinnvoll für das eigene Leben sowie gesellschaftsfähig sind. Was ist schließlich schlimm daran, ab und an zu pendeln, um Antworten auf entscheidende Fragen des Lebens aus dem Jenseits zu erhalten, im Buch des Gesetzes von Aleister Crowley, dem Begründer des modernen Satanismus in Europa, zu stöbern oder auf einem Konzert den Klängen von Black Sabbath zu lauschen, während Ozzy Osbourne auf der Bühne einer Fledermaus den Kopf abbeißt? Wenn man sich in seinem Denken und Handeln in der realen Welt klar davon distanzieren kann, erst einmal nichts. Doch genau diese Distanz ist für junge Menschen schwierig.

In vielen Fantasy-Filmen werden schwarze Magie und finstere Mächte thematisiert. Vor allem aber auch Horrorfilme wie Insidious oder Paranormal Activity behandeln Okkultismus. Ganz aktuell läuft mit Ready or Not ein humoristisch angehauchter Streifen mit dem Leitmotiv des Okkultismus auf Disney+. Wie schwerwiegend sind derartige explizite Darstellungen von schwarzmagischen Praktiken in Filmen und Serien?

Die in der Film- und Fernsehlandschaft verfügbaren Angebote an okkultem Input sind aus meiner Sicht schon allein mit dem Zweck, hohe Einnahmen zu erzielen, darauf ausgelegt, regelmäßig die Grenzen des guten Geschmackes zu überschreiten, weil es nun mal das ist, was das Publikum von heute vermehrt verlangt. Dabei werden explizite Gewaltdarstellungen oder die Berührungen mit dem Jenseits bewusst übertrieben. Die Zurschaustellung okkulter Praktiken in Filmen und Serien senkt ganz klar die Hemmschwelle für die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Okkultismus und weckt natürlich auch Interesse. Fragwürdig ist meiner Meinung nach vor allem, welche Vorstellungen Menschen heutzutage von Unterhaltung haben. Für mich persönlich sind Harry Potter oder andere Filme, welche das Magische ins Zentrum des Geschehens stellen, durchaus interessant und haben einen hohen Unterhaltungs- sowie oftmals auch literarischen Wert. Das psychologische Phänomen des Eskapismus spielt hierbei eine entscheidende Rolle, da sich der Mensch danach sehnt, in andere, oder in diesem Fall geheime, magische Welten zu entfliehen. Geht es allerdings um Blutvergießen, die Verharmlosung ritueller Gewalt oder das Ziel, mit Filmen wie Insidious, bei Menschen bewusst Ekel oder Angst hervorzurufen, erschließt sich mir der Unterhaltungswert absolut nicht. Im Gegenteil, derartige Zurschaustellungen der brutalen Seiten des Okkultismus können zur Verbreitung gefährlicher Praktiken führen, da sie als reiner Nervenkitzel abgestempelt werden.

Christopher Günther führte das Interview und verfasste die einleitenden Bemerkungen.

Melanie hat Anglistik und Philosophie in Leipzig studiert und ist jetzt Lehrerin für Englisch und Ethik an einem Gymnasium. Vor allem durch Game of Thrones und Harry Potter ist sie dem Fantasy-Genre verbunden.

Christopher stammt von den Hängen des Erzgebirges, suchte jedoch beizeiten das Abenteuer in der großen Stadt. Seit Kindertagen interessiert er sich für die Länder, Kulturen und Sprachen dieser und anderer Welten. Heraus kamen ein Ethnologie-Studium in Leipzig, die Begeisterung für Tolkiens Werke und ein Plüsch-Chewbacca auf der Couch.

Quelle
Adamson, Andrew (2005): Die Chroniken von Narnia - Der König von NarniaNewell, Mike (2005): Harry Potter und der FeuerkelchJackson, Peter (2001-2003): Der Herr der Ringe (Filmtrilogie)Lucas, George (2005): Star Wars: Episode III - Die Rache der SithBenioff, David; Weiss, D. B. (2012): Game of Thrones - Staffel 2

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