Ausgabe 3Weltenbummler

VON CARCASSONNE NACH WINTERFELL

Verträumt ließ Aleidis den Blick über die eindrucksvolle Festung im Zentrum des Nordens streifen. Ihre Augen wanderten über die massiven Mauern aus Stein, während eine frische Sommerbrise die in der Früh mühselig gezähmten Locken verwirbelte. Mutter wird glauben, ich hätte vergessen, mir das Haar zu kämmen, ging es ihr durch den Kopf. Ach, dann sage ich einfach, die alte Septa hätte mir am Morgen nicht den Kamm gereicht. Ein lausbübisches Lächeln huschte beim Gedanken ans Flunkern über ihr Gesicht. Dann ließ sie den Götterhain immer weiter hinter sich zurück und marschierte zielstrebig auf den ihr so vertrauten Sitz ihres Hauses zu – Winterfell.

Eleonore sah die, wie sie fand, wohl schönste Festung Südfrankreichs schon aus der Ferne und sofort breitete sich in ihr ein warmes, wohliges Gefühl aus, wie es manch andere beim Anblick einer knisternden Kaminflamme empfand. Ihre Augen streiften über die massive Steinmauer und die zahlreichen Türme, die zu der eindrucksvollen Burg gehörten, die Eleonore ihre Heimat nennen durfte: Cité von Carcassonne, eine der wichtigsten Städte der Region Okzitanien.

oben: Winterfell, unten: Cité von Carcassonne

Aleidis passierte das mächtige Eingangstor der Hauptfestung des Nordens von Westeros, spazierte über den begrünten Hof, auf dem einige Jünglinge ihren Bogenschießübungen nachgingen und betrat schließlich die große Halle, in der sich schon so manches Spektakel abspielte. Kaum hatte sie die Türen zu dieser aufgeschlagen, drangen auch schon die nervösen Tippelschritte von Mägden, die über den glänzenden Steinboden fegten, und das Klirren von Silberbesteck zu ihren Ohren. Mutter schien abermals eines ihrer schillernden Feste für den Hofstaat auszurichten und tyrannisierte zu diesem Anlass das Personal. Aleidis überflog mit den Augen die Ecken des großen Saals ab, doch fand nicht, wonach sie suchte.

Eleonore durchlief das eindrucksvolle Haupttor und ließ auch den zweiten Schutzwall hinter sich. Der große Innenhof wurde von einigen Knechten und Mägden mit Trockenblumen und bunten Bändern geschmückt, während das Gewusel im großen Saal des Châteaus immer unerträglicher für sie wurde. Schon bald richtete Carcassonne die festlichen Ritterspiele aus, wozu sich der halbe Hofstaat in ihren Gemäuern versammeln würde, da wollte und durfte ihr Vater nichts dem Zufall überlassen – zum Leidwesen des Personals.

Aleidis ließ sich nach der erfolglosen Suche erschöpft in das kniehohe Gras des Innenhofes fallen, auch wenn sie wusste, dass sich dies nicht für eine Lady Winterfells ziemte. Ururgroßtante Arya scherte sich auch nie darum, was sich für eine Lady Winterfells schickte. Aleidis bewunderte ihre Vorfahrin stets für ihre Kühnheit, auch wenn sie erst weit nach deren Tod geboren wurde. Seufzend löste sie den schweren Umhang, den sie am Morgen umgelegt hatte, von ihren Schultern und ließ die wärmenden Sonnenstrahlen auf ihre bleiche Haut prasseln. Sie mochte den Sommer, wie hätte sie ihn auch nicht mögen können, war es doch die einzige Jahreszeit, die sie kannte. Wie haben sich wohl die eisigen Winter für die Nordmänner angefühlt? Für jene, die auf Winterfell hausen durften, gewiss erträglich, war die Festungsstadt doch auf einer heißen Quelle erbaut, die das Gemäuer warm hielt.

Für Eleonore war die Sommerhitze unerträglich. Die Wärme ballte sich zu stickigen Wolken und staute sich in ihren Gemächern und in den engen Gassen der Stadt. Nur in den Wintermonaten konnte sie sich über den Umstand freuen, dass Minusgrade in Carcassonne so häufig vorkommen wie feuerspeiende Drachen.

Carcassonne

Aleidis hatte sich in der Vergangenheit stets sicher in Winterfell gefühlt, auch wenn ihre Heimat eine turbulente Vergangenheit besaß. Einst wurde die stählerne Festung im Zeitalter der Helden von Brandon dem Erbauer, dem Begründer ihres Hauses, errichtet. Angeblich halfen ihm Riesen bei dem Bau. Riesen … Aleidis kannte die gigantischen Geschöpfe nur aus Büchern und Erzählungen. Es betrübte sie, nie einen von ihnen mit eigenen Augen gesehen zu haben. Aleidis, kannte sie doch keinen sichereren Ort in den sieben Königslanden. Und obwohl sie sich so behütet im Norden fühlte, zog sie etwas in die Ferne. Sie wollte sich nicht für ewig hinter den Mauern aus Stein versteckt halten. Eines Tages würde sie mit ihrem schillernden Ross den Königsweg bis nach Sturmkap entlang galoppieren und dabei einen Halt in der Stadt machen, die ihrer Familie so viel Gutes und Schlechtes zugleich beschert hatte – Königsmund.

Während Eleonore die steinigen Gassen ihrer Festung auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen entlanglief, fühlte sie sich ausgesprochen sicher. In der Vergangenheit wird sich jedoch nicht jede Lady so behütet in der ehrwürdigen Festungsstadt gefühlt haben, dessen war sich Eleonore bewusst, war die Geschichte Carcassonnes doch von vielen Höhen und Tiefen geprägt. So war die Stadt, die im ersten Jahrhundert vor Christus von den Römern gegründet wurde, ein herausragendes Beispiel mittelalterlicher Verteidigungstechnik und war in den Gefechten mit dem spanischen Königreich Aragón die wichtigste Verteidigungsbastion. Doch hatte Carcassonne auch schon ganz andere Tage erlebt. So wurde einst die gesamte Unterstadt Carcassonnes vom Schwarzen Prinzen Edward in Brand gesteckt. Solch eine Gräueltat wollte und konnte sich Eleonore einfach nicht vorstellen. Nicht in Zeiten des Friedens, in denen sie, seit sie denken konnte, lebte. Sie erfreute sich an ihrem Wohlstand und ihrer Sicherheit und doch war da eine Stimme in ihrem Hinterkopf, die ihr vor dem Schlafen zuflüsterte, dass die Welt mehr zu bieten hatte. Etwas zog sie in die Ferne. Sie wollte den Handelsweg, der Atlantik und Mittelmeer miteinander verband und von Carcassonne kontrolliert wurde, einmal selbst überqueren.

Königsweg

Erschöpft von der Mittagssonne federte sich Aleidis vom Boden ab und nahm die Suche nach ihrer Mutter erneut auf. Wo mochte sie sein? In der Septe? Oder trauert sie wieder um Großmutter in der Familiengruft? Aleidis wollte so gerade den Weg in diese einschlagen, als sie die elfengleiche Gestalt mit dem feuerroten Haar über den Platz gleiten sah. „Mutter!“ Die anmutige Frau drehte sich zu ihr um und stemmte die Arme in die Hüfte. Mit gerümpfter Nase musterte sie das zerzauste Haar ihrer Tochter. Aleidis, die reichlich Zeit besessen hatte, die Haare abermals zu bändigen und die sich nun darüber ärgerte, diese Gelegenheit nicht beim Schopfe gepackt zu haben, öffnete rasch den Mund, um ihrer Mutter zuvorzukommen. „Wo habt Ihr gesteckt?“ „Ich war im Krähenhorst, um einen Brief zu entsenden und wo hast du dich rumgetrieben? Du hast doch nicht schon wieder die Lehrstunden bei der alten Septa geschwänzt?“

Eleonore genoss für einen flüchtigen Augenblick den schützenden Schatten, den die Basilique Saint-Nazaire ihr spendete, bevor sie wieder ihrer Wege ging. Heimlich warf sie den Tauben, die sich in den unebenen Stellen des Gemäuers zu Horsten zusammenfanden, Brotkrumen zu und stattete dann auf dem Friedhof, der sich direkt neben der Festung befand, ihrer viel zu früh aus dem Leben geschiedenen Mutter einen Besuch ab. „Mutter, ich war erneut unartig“, flüstert sie dem toten Stein, der das einfache Grab zierte, zu, „ich habe erneut den Unterricht versäumt, aber sag es nicht Vater.”

Julia ist die Ambivalenz auf zwei Beinen. Sie lebt einerseits mit Dinosauriern und Shakespeare in der Vergangenheit, ihr (seit drei Jahren) fast vollendeter Debüt-Roman spielt jedoch in der Zukunft. Sie wollte eigentlich etwas "Sicheres" studieren und ist jetzt blöderweise im Journalismus gelandet. Dort ist sie ganz nebenbei Mate-abhängig geworden und mit ihrer Tastatur verwachsen.

2 Kommentare

  1. Ich war auf der Suche nach Infos zu Carcassonne und bin dabei auf diese Seite gestoßen. Richtig cool geschrieben! Jetzt habe ich noch mehr Lust auf meine Reise! =)

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