Alte und Neue GötterAusgabe 8

VOODOO

Hexerei oder Religion?

Wenn wir an Voodoo denken, haben vermutlich die Meisten das gleiche Bild vor Augen: eine Hexe, die in ihrer Hütte kleine Puppen bastelt und durch gezielte Nadelstiche oder ein gut platziertes Feuerchen einem ganz bestimmten Menschen Schaden zufügt. Ein dunkler Zauber verbindet die Zielperson mit der Puppe und sorgt dafür, dass sie aus heiterem Himmel Schmerzen spürt – vom unscheinbaren Piks über’s Knochenbrechen bis zum Verbrennen.

In vielen Filmen begegnen uns solche verfluchten Gruselpuppen und böse Schadenszauber als scheinbares Kernelement des Voodoo. Dies reicht vom Disney-Hit Küss den Frosch über Fantasy-Streifen wie Fluch der Karibik und Der Sternwanderer bis zum Horrorklassiker Chucky – Die Mörderpuppe. Doch was ist Voodoo eigentlich? Definitiv mehr als finstere Hexerei!

Jenseits von Afrika

Ihren Ursprung haben Voodoo-Praktiken in Westafrika. Das Volk der Yoruba etablierte in dieser Region (dem heutigen Südwest-Nigeria, Benin und Togo) zwischen dem 13. und 19. Jahrhundert eine Reihe von mächtigen Reichen und Stadtstaaten, die in diesem Zeitraum eine Vormachtstellung innehatten. Auch benachbarte Völker, unter anderem die Fon, Ewe und Aja, gerieten unter den Einfluss der Yoruba. Die verschiedenen Glaubensrichtungen der einheimischen Ethnien beeinflussten sich gegenseitig und so entstanden in diesem Gebiet die Vorläuferreligionen des Voodoo. Kernelement all dieser Weltanschauungen ist die Existenz von Geistwesen, die durch ihre unvorstellbare Macht den Lauf der Dinge beeinflussen können und als Vermittler zwischen den Menschen und dem Göttlichen fungieren.

Mit dem Einsetzen der Kolonialzeit waren die lokalen Herrscher Westafrikas – unter ihnen auch Yoruba-Könige – maßgeblich am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt. Sie nahmen Menschen anderer Völker aus dem Landesinneren gefangen, transportierten sie ans Meer und übergaben sie dort an englische, französische oder portugiesische Stützpunkte, von wo aus die Gefangenen nach Amerika verschifft wurden. Lange Zeit war diese Region deshalb als Sklavenküste bekannt.

Mit den Menschen gelangte auch die Religion der Yoruba in die Neue Welt. Bereits in Afrika wurden die traditionellen Elemente dieser Glaubensvorstellungen mit christlichen und islamischen Praktiken vermischt. Dieser Prozess des Synkretismus setzte sich in Amerika weiter fort. Aus diesem Mix verschiedener Religionen entstand Voodoo. Für die Sklaven erlangte der Glaube einen hohen Stellenwert, da er sie an ihre afrikanischen Wurzeln erinnerte und eine identitätsstiftende Verbindung zur alten Heimat darstellte.

Am stärksten hat sich Voodoo auf amerikanischem Boden seitdem in Haiti etabliert, dort praktizieren schätzungsweise 70 % der Bevölkerung regelmäßig derartige Praktiken, und das, obwohl sich 90 % der Menschen im Land ebenso zum katholischen Glauben bekennen, was den synkretistischen Charakter noch einmal unterstreicht. Aber auch in anderen Karibikstaaten, Brasilien und dem US-Bundesstaat Louisiana ist Voodoo in verschiedenen regionalen Varianten verbreitet.

Ein Gott, viele Geister und mächtige Personen

In der Vorstellung der Voodoo-Gläubigen gibt es nur einen Gott, der Bondieu oder Bondye (französisch bzw. kreolisch für Guter Gott) genannt wird. Die Geistwesen, durch welche die Menschen Kontakt zu Bondieu aufnehmen, heißen Loa. Sie werden in drei Gruppen unterteilt und haben je nach Zugehörigkeit völlig unterschiedliche Charakteristika. Die Rada-Loa sind friedlich und wohltätig, die Petro-Loa kriegerisch und zerstörerisch und die Ghede-Loa stehen für Fruchtbarkeit und Tod.

Eine wichtige Rolle im Voodoo spielen Opferungen von Tieren oder Genussmitteln wie Rum und Tabak, rituelle Feste und Tänze. Verfällt eine Person dabei in einen ekstatischen Zustand der Trance, so gilt sie als von einem Loa besessen. Betroffene Personen werden verehrt und als Ratgeber:in und Heiler:in befragt. Eine besondere Bedeutung haben auch die Manifestationen von Geistern in sogenannten Fetischen. Dies können Objekte unterschiedlicher Natur sein, die von einem Loa beseelt sind und dadurch eine heilende und spirituelle Wirkung besitzen.

Marie Laveau, die Voodoo Queen.

Die Geistwesen spielen eine immens wichtige Rolle im Leben der Gläubigen und ihnen wird aufgrund der großen Macht viel Ehrfurcht entgegengebracht. So festigte beispielsweise der haitianische Diktator François Duvalier (herrschte zwischen 1957 und 1971) seine Position, indem er behauptete der überaus mächtige Todesgeist Baron Samedi zu sein. Auch Marie Laveau erlangte einen legendären Ruf im New Orleans des 19. Jahrhunderts. Durch ihre magischen Künste wurde sie zu einer der einflussreichsten Personen der Stadt und noch heute ranken sich zahlreiche Mythen um die Voodoo Queen.

Und was ist mit den Puppen?

Auch wenn Voodoo eine vielseitige Religion und Weltanschauung ist, wird es, wie eingangs erwähnt, meist nur mit düsteren und okkulten Ritualen in Verbindung gebracht. Es ist dabei nicht von der Hand zu weisen, dass die Assoziierung von Voodoo mit schwarzer Magie komplett aus der Luft gegriffen ist. Der ausgeprägte Totenkult ist beispielsweise mit dem Glaube an Nekromantie verknüpft, so entspringen Zombies der Voodoo-Mythologie. Jedoch hat die Vorstellung der Wiedererweckung von Toten in dieser Religion absolut nichts mit den blutrünstigen und menschenfressenden Monstern der heutigen Popkultur zu tun.

Manche Voodoo-Meister:innen nutzen ihre vermeintlichen Kräfte aus, um Menschen zu verfluchen und finstere Mächte heraufzubeschwören, doch genau so treten andere als Heiler:innen oder Weise auf. Dunkle Magie und böse Schadenszauber sind demnach nicht das wesentliche Merkmal dieser Religion. Perfektes Beispiel für diese Doppelseitigkeit ist der Disney-Streifen Küss den Frosch. In dem Animationsfilm, der im Louisiana der 20er-Jahre spielt, ist der Antagonist Dr. Facilier ein böser Voodoo-Hexer, während Mama Odie, die Unterstützerin der Hauptfigur Tiana, eine durch und durch gute Voodoo-Priesterin ist – zwei Seiten einer Medaille.

Und genau so ambivalent verhält es sich mit den berühmt-berüchtigten Voodoo-Puppen. Tatsächlich ist dieser Brauch nur vereinzelt im Voodoo verankert und spielt in manchen Untergruppen überhaupt keine Rolle. Mancherorts existieren traditionelle Rituale, bei denen Puppen einem bestimmten Menschen nachempfunden werden und wo mithilfe von Geistern, Magie oder einem Bild der Zielperson eine Verbindung zwischen beiden hergestellt wird. Das Stechen der Puppe mit einer Nadel soll die anvisierte Person beeinflussen, manchmal in Form eines Schadenszaubers, aber oft auch zu Heilzwecken. Es ist also faktisch falsch, dass Voodoo-Puppen ein weit verbreiteter Ritus in dieser Glaubensrichtung sind. Ebenso stimmt nicht, dass sie lediglich ein diabolisches Instrument finsterer Hexen und Zauberer sind, um anderen Menschen auf übernatürliche Weise Schmerzen zuzufügen.

Zu Unrecht gebrandmarkt

Die falsche Annahme, dass es sich bei Voodoo um nichts weiter als schwarzmagischen Okkultismus handelt, ist heute weit verbreitet. Die frühe, amerikanische Popkultur leistete einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung dieses Mythos. Voodoo war für den durchschnittlichen US-Bürger in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Ansammlung nebulöser Praktiken, die noch dazu von Afroamerikaner:innen, einer damaligen Randgruppe der Gesellschaft, betrieben wurden. Diese diffuse Außensicht einer vermeintlich mystischen und finsteren Sekte wurde nach Hollywood transferiert.

Wenn Voodoo in einem Film auftauchte, dann meist als Repräsentation des Bösen in Form von schwarzer Magie, Zombies oder eben jenen berüchtigten Puppen. Vereinzelte, meist klischeehaft überspitzte Elemente ließen die wesentlichen Inhalte des Voodoo komplett von der Bildfläche verschwinden. Und auch heutzutage ist dieses Stereotyp noch nicht überwunden. Voodoo, eine Religion mit weltweit rund 60 Millionen Anhängern, ist aufgrund falscher Darstellungen in der Gesellschaft und Popkultur somit die wohl missverstandenste Glaubensrichtung unserer Erde.

Christopher stammt von den Hängen des Erzgebirges, suchte jedoch beizeiten das Abenteuer in der großen Stadt. Seit Kindertagen interessiert er sich für die Länder, Kulturen und Sprachen dieser und anderer Welten. Heraus kamen ein Ethnologie-Studium in Leipzig, die Begeisterung für Tolkiens Werke und ein Plüsch-Chewbacca auf der Couch.

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