Ob als alter Mann mit langem Bart und spitzem Hut, der einen grellen Blitz abfeuert; oder als schrullige Dame, die mit leerem Blick in eine leuchtende Kugel stiert. Magie hat viele Gesichter und Formen. Und sie ist seit Anbeginn der Zeit ein Bestandteil der menschlichen Zivilisation. Für einige ist Magie das, was wir aus Harry Potter, Herr der Ringe und Co. kennen. Manche denken dabei an Merlin und verwunschene Sagengestalten. Anderen kommen geheime Kulte und düstere Praktiken in den Sinn. Was Magie für den Einzelnen auch immer bedeuten mag, Fakt ist, dass sie seit jeher die historische, religiöse und kulturelle Vorstellung von Menschen beeinflusst hat. Selbstverständlich ist die Bandbreite von Zauberei, hinsichtlich ihrer geschichtlichen und geographischen Ausbreitung, enorm. Dennoch, wenn wir uns die Frage stellen möchten, welche Rolle Magie in unserer Welt spielen kann, bedarf es zunächst einer Definition.
„Magie versteht die Welt als ein energetisch verbundenes Netz von Erscheinungen, in das durch geeignete Maßnahmen und Rituale eingegriffen werden kann.“
Schulze, Markus; Haupt, Mandy (2016): Okkultismus und neue religiöse Bewegungen, S. 58.
Die magische Sicht auf die Welt legt demnach die Verbundenheit aller Dinge innerhalb des Kosmos durch eine unsichtbare Kraft nahe. Durch bestimmte Rituale, Sprüche oder Gegenstände soll Einfluss auf die Umwelt genommen werden, um gewisse Aspekte nach den eigenen Vorstellungen zu verändern. Vor allem durch die Verwendung in der Popkultur und Belletristik sind Zaubersprüche und -stäbe prominente Paradebeispiele für derartige magische Hilfsmittel zur Kanalisation des eigenen Willens.
Magie kann für unendlich viele Dinge benutzt werden. In den meisten Fällen soll eine Person, ein Wesen, ein Objekt, ein Zustand (etc.) durch den Einsatz von Zauberei geschützt, beschworen, verändert, zerstört (etc.) werden. Vom altbekannten Liebeszauber über die prophetische Hellseherei bis hin zum todbringenden Fluch; wir alle kennen die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten, die mit magischen Praktiken erzeugt werden sollen. Unterschieden werden im Allgemeinen weiße Magie, die vor allem dem Schutz oder der Heilung dient; sowie schwarze Magie, die auf Schaden und Unglück ausgerichtet ist. Im Wesentlichen versucht ein Zauberer demnach, übersinnliche Kräfte zu mobilisieren, um einen gewünschten Effekt zu erreichen.
In der Tat lässt sich diese Herangehensweise wunderbar durch die Macht in Star Wars erklären. Die Jedi und Sith sind machtsensitiv, das heißt, sie sind in der Lage, das unsichtbare Kraftfeld, welches alle Objekte miteinander verknüpft, wahrzunehmen. Wenn Yoda auf übernatürliche Weise ein Raumschiff schweben lässt oder Darth Vader einen Feind im telekinetischen Würgegriff hält, so schaffen sie dies nur durch das Einswerden mit der Macht. Sie sind prinzipiell nicht im Stande, aus eigener Kraft Magie zu wirken, sondern fühlen die Energie um sich herum und machen sich diese durch rituelle Meditation oder anderweitiges Handeln als Instrument zunutze. Dies unterscheidet Magie im Übrigen auch von klassischen Superkräften, die mitunter angeboren sind, aber auch durch genetische Aspekte oder unfallartige Zwischenfälle verursacht werden können. Derartige Fähigkeiten sind meist körpereigen und nicht von einer Interaktion mit der Umwelt abhängig.
Der Ursprung des Magischen
Im Kern ist ein Zauberer fähig, die Übersinnlichkeit seiner Umgebung wahrzunehmen, sie zu deuten und darüber hinaus als Werkzeug für seine Zwecke zu gebrauchen, sofern er über die geeigneten Mittel verfügt. Die – aus etymologischer Sicht – ersten Magier kamen dieser Definition tatsächlich sehr nahe. Das Wort Magie leitet sich von dem altpersischen magus ab. Dies beschrieb laut dem griechischen Historiker Herodot einen altiranischen Volksstamm, dessen Mitglieder als besonders weise und priesterlich galten. Sie hatten den Ruf als hervorragende Astrologen und Traumdeuter. Der Begriff hielt als mágos/mageía Einzug in das Altgriechische und verbreitete sich später durch das Lateinische in weiten Teilen der Welt. Mit der Zeit wurde er nicht mehr speziell für jene persische Ethnie, sondern allgemein für Weise verwendet.
Das Synonym Zauber ist über einige Ecken vom angelsächsischen Begriff teafor, was so viel wie rote Farbe bedeutet, abgeleitet. Rote Farbe wurde für das Beschriften von alten Runen verwendet, die wiederum als Symbol für geheimes Wissen standen. Derjenige, der die Runen benutzte, galt als Weiser. Die Termini Magier und Zauberer basieren demnach beide auf Weisheit.
Magie als Konzept ist logischerweise noch älter als der Wortursprung. Quasi seit Menschengedenken wird Zauberei in mannigfaltigen Formen betrieben. In unzähligen Mythologien und Weltanschauungen gibt es eigens für Magie zuständige Gottheiten. Im Alten Ägypten war dies Thot, bei den Germanen war der zentrale Gott Odin dafür verantwortlich. Rituelle Orte wie das Stonehenge, aber auch Höhlenzeichnungen und Artefakte deuten die große Bedeutung des Übersinnlichen für steinzeitliche Stämme an. Von den ersten Hochkulturen dieser Erde, sei es in Mesopotamien, Ägypten oder China, sind zahlreiche magische Traditionen überliefert. Akkadische und sumerische Schriften aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. berichten davon, dass Zauberer für Heilungen, Wahrsagen und Beschwörungen zuständig waren und einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft besaßen. Das heute noch populäre Auge des Horus aus der ägyptischen Mythologie diente den Menschen einst als Amulett gegen den bösen Blick.




Aus dem antiken Griechenland ist vor allem die Zauberin Kirke berühmt, die dafür bekannt war, Männer in ihren betörenden Bann zu ziehen. Heute leitet sich das Wort bezirzen von der hellenischen Charmeurin ab. Aber auch rational betrachteten Persönlichkeiten wurden magische Fähigkeiten nachgesagt. So soll Pythagoras ein Zauberer gewesen sein, der neben seinen mathematischen Innovationen auch als religiös-philosophischer Vordenker mit einem Sinn für das Übernatürliche gewirkt haben soll.
Der Archetyp des Zauberers
Doch wem haben wir das einprägsame Bild des bärtigen alten Magiers mit Kapuze und Stab zu verdanken, welches bereits so zahlreich und prominent adaptiert worden ist und welches im westlichen Kulturkreis fast schon klischeehaft ein Symbol für Zauberei darstellt? Bestimmt nicht Odin; da denken wir an blutrünstige Wikinger. Und ganz sicher nicht Pythagoras; dem haben wir höchstens schlaflose Nächte vor einer Matheprüfung zu verdanken.


Die Rede ist von Merlin. Spricht man über Zauberei und Magie, kommt man um die heroische Figur der englischen Sagenwelt nicht herum. Heutzutage ist er vor allem als Mentor des berühmten König Artus bekannt, die Wurzeln der Figur des Merlin reichen allerdings tiefer. Während er in mittelalterlichen Quellen ausnahmslos als Zauberer beschrieben wird, taucht später immer öfter die Querverbindung zum keltischen Druidentum auf. Unabhängig davon, ob diese Assoziation inhaltlich korrekt ist, entstand daraus eine prägnante gegenseitige Beeinflussung.
Merlin gilt demnach durch seine Optik und seine naturverbundene Magie als Archetyp des zaubernden Druiden. In der keltischen Gesellschaft und Religion waren die Druiden als geistige Führer und kultische Priester mit magischen Kräften elitär. Wohl keine andere Personengruppe wird derart mit jener räumlich-zeitlichen Epoche assoziiert und tatsächlich bildeten sie laut Überlieferungen das soziokulturelle Zentrum der damaligen Stammesverbände. Sie waren demnach nicht nur als Naturzauberer, Kräuter- und Heilkundler bekannt, sondern fungierten auch als Gelehrte, Richter und politische Berater.
Durch die Figur des Merlin wurde dieses Stereotyp in der westlichen Welt etabliert und später durch zahlreiche belletristische Nachfolger gefestigt. Gandalf aus Der Herr der Ringe und Albus Dumbledore aus Harry Potter verdanken den Druiden und Merlin höchstwahrscheinlich ihren Look. Miraculix, seines Zeichens Zaubertrankbraumeister des gallischen Dorfs von Asterix, übernahm zusätzlich die Fähigkeiten des altehrwürdigen Naturmagiers.
Magie in der Wissenschaft – die ethnologische Sicht
Wie anfangs erwähnt, spielt Zauberei auf der ganzen Welt eine Rolle. Es ist kaum möglich, die komplexe geographisch-geschichtliche Bandbreite abzudecken. Doch in der akademischen Welt existiert eine Wissenschaft, die uns einen magischen Blick in komplett andere Kulturkreise, fernab von Merlin und Co., präsentieren kann: die Ethnologie.
Jene akademische Disziplin sticht durch ihre intensive Beschäftigung mit Magie aus der Masse der Wissenschaften hervor. Nicht nur befasst sie sich mit den unterschiedlichsten Ausformungen von Zauberei, sondern konzentriert sich auch auf Regionen jenseits der westlichen Kultursphäre. Das einstige Steckenpferd der Ethnologie waren Völker, die einen scheinbar innigeren Bezug zu Natur und Umwelt hegen als der durchschnittliche Europäer oder Amerikaner. Auch wenn heute die Tätigkeitsfelder von Ethnologen längst sämtliche Länder und Themengebiete erreicht haben, stellt die Beschäftigung mit außereuropäischen Gesellschaften noch immer einen wesentlichen Teil dar. Bei Kulturen, die mehr Wert auf den Umgang mit ihrem natürlichen Umfeld legen, kann logischerweise die untrennbar zur Natur gehörende Magie eingehender untersucht werden.
Am bekanntesten ist hierbei die Arbeit des britischen Kulturanthropologen Edward Evans-Pritchards, der von 1926-1930 die Rolle der Magie und Hexerei beim zentralafrikanischen Stamm der Azande erforschte. Laut deren spirituellen Vorstellungen ist Zauberei nichts außergewöhnliches, sondern normaler Bestandteil der Gesellschaft. Übersinnliche Kräfte werden hauptsächlich für heimtückische Zwecke verwendet beziehungsweise um anderen Personen Schaden zuzufügen, sei es aus Neid, Eifersucht, Habgier oder Rache. Magie ist demnach stark negativ konnotiert. Dies geht sogar soweit, dass jegliches Unheil, was passiert, auf Hexerei zurückgeführt wird.




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Evans-Pritchards beschreibt dies bildhaft mit dem folgenden Beispiel: In der Sommerhitze sucht eine Gruppe Menschen Schutz vor der Sonne unter einem auf Pfählen errichteten Vorratsspeicher. Das Holz, welches das Konstrukt stützt, ist durch Termiten zerfressen und stürzt in sich zusammen, während die Personen darunter sitzen. Aus unserer Sicht ein Unfall. Auch die Azande wissen, dass die Menschen aus einem rationalen Grund Zuflucht unter dem Speicher suchten, nämlich um der Sonne zu entfliehen. Sie sind sich auch bewusst, dass die Termiten der Auslöser für den Kollaps sind. Jedoch glauben sie daran, dass ein Fluch der Grund ist, weshalb das Gebäude in exakt jenem Moment zusammenbrach, als sich Personen darunter befanden. Und diese Ansicht ist weniger als Mutmaßung anzusehen, sondern ist für die Azande eine unumstößliche Tatsache. Hexerei ist der Ausgangspunkt jedweden Unglücks.
So alltäglich wie Missgeschicke und Unfälle sind, so alltäglich ist Magie bei den Azande. Sie wird nicht als paranormales und losgelöstes Phänomen betrachtet, sondern gehört zum Leben wie die Bestellung des Ackers oder die Kindererziehung. Im Umkehrschluss prägt Magie die Kultur und Gesellschaft dieses zentralafrikanischen Volkes enorm. So etablierten sich Orakel, Medizinmänner und heilpraktische Rituale, die Hexerei vorbeugen oder bekämpfen sollen.
Neben den Azande existieren derart konkrete und soziokulturell fest verankerte Vorstellungen von Magie in etlichen außereuropäischen Gesellschaften, so etwa auch im Buddhismus, Hinduismus oder Schamanismus. In vielen Kulturen nimmt sie einen Platz ein, der aus westlicher Sicht nur schwer vorstellbar ist. Für die meisten Europäer ist Magie ein Phänomen aus Fantasy-Filmen oder ein primitives Überbleibsel antiker Kulte und okkulter Traditionen. Doch für nicht wenige Menschen auf dieser Welt ist sie fester Bestandteil des täglichen Lebens und gesellschaftlichen Miteinanders.
Christopher stammt von den Hängen des Erzgebirges, suchte jedoch beizeiten das Abenteuer in der großen Stadt. Seit Kindertagen interessiert er sich für die Länder, Kulturen und Sprachen dieser und anderer Welten. Heraus kamen ein Ethnologie-Studium in Leipzig, die Begeisterung für Tolkiens Werke und ein Plüsch-Chewbacca auf der Couch.